prophetin des widerstands
Sven Boedecker, Hamburg, November 2001

Seit ihrem Bestseller „No Logo“ ist NAOMI KLEIN die einflussreichste Kritikerin einer falsch verstandenen Globalisierung

Angst vorm Fliegen hat diese Frau nicht. Auch nicht nach dem 11. September. Im Oktober hielt sie Vorträge in Boston, an der Princeton University in New Jersey, in Oslo, Kopenhagen und Stockholm, um im November nach London, Toronto und Vancouver weiterzureisen.

Naomi Klein ist so etwas wie die inoffizielle Außenministerin der weltweiten Bewegung der so genannten “Globalisierungskritiker". Und da muss man eben viel reisen. Eingebracht hat der 31-jährigen Kanadierin dieses Ehrenamt das Sachbuch „No Logo“, das im Januar 2000 in Kanada, den USA und Großbritannien erschien und bis heute in 14 Sprachen übersetzt worden ist.

Politische Bewegungen brauchen ihre Schlüsseltexte. Die 68er hatten "Die Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno, der Feminismus Kate Millets "Sexus und Herrschaft" und die Umweltbewegung "Die Grenzen des Wachstums". "No Logo" ist der Bestseller der neuesten Bewegung. Und das verdankt das Buch seiner Mischung aus Information, Analyse und Empörung.

Naomi Klein untersucht zum einen den Aufstieg großer Marken wie Nike, McDonald's, Microsoft oder Body Shop. Diese Firmen kreieren um ihre Produkte einen genau kalkulierten Lifestyle: Sportsgeist (Nike) etwa oder ein gutes Gewissen (Body Shop). Dafür ist ein enormer Marketing- Aufwand nötig, der wieder eingespart werden muss. Also wird die Produktion in die Billiglohnländer der Dritten Welt ausgelagert. Und dort hat der Lifestyle schnell ein Ende. So muss etwa ein haitianischer Arbeiter, der für Disney Schlafanzüge zusammennäht, 16,8 Jahre arbeiten, um die 9783 Dollar zu erreichen, die Disney-Chef Michael Eisner pro Stunde verdient.

Auch wir im Westen können uns an der neuen Firmenphilosophie nicht erfreuen. Nicht nur fallen Arbeitsplätze weg; auch okkupieren die Marken immer mehr sozialen und kulturellen Raum. Sie drängen in die Schulen und Universitäten (Werbung in Schulbüchern), auf öffentliche Straßen (1997 bemalte Mattel im englischen Salford einen Straßenzug in schrillem Pink und degradierte die Bewohner zu Nebendarstellern bei der Feier des "Barbie Month"), in ganze Ortschaften (die ihre Straßen nach Produktnamen benennen sollen, sonst siedelt sich die Firma an anderer Stelle an), in Kulturfestivals und Sportveranstaltungen. Marketingfreie Lebensräume sind zu einem knappen Gut geworden.

Naomi Klein hatte einen Nerv getroffen. Ihr Buch wurde als "Das Kapital“ einer wachsenden Anti-Konzern- Bewegung" ("Observer") und "Bibel der Bewegung" ("New York Times") gefeiert. Mexikanische Bauern haben sich nach der Lektüre organisiert und ihre Forderungen durchgesetzt; auch die englische Starautorin Zadie Smith war beeindruckt: "Ich habe meine Turnschuhe weggeschmissen."

Die Autorin wiegelt dennoch ab: "Es ist einfach nur ein Buch mit einem Haufen recherchierter Informationen." Trotzdem hat die "Times" Recht, wenn sie Naomi Klein als "die weltweit wahrscheinlich einflussreichste Person unter 35 bezeichnet. Ihre Artikel werden von führenden Zeitungen gedruckt. Wer heute das Internet nach ihrem Namen durchsucht, erhält bei Google 30600 Einträge - der Literaturnobelpreisträger Günter Grass kommt bloß auf 21400. So wird man schließlich Außenministerin.

Für ein ehemaliges Fashion-Victim ist das ein ungewöhnlicher Werdegang. Als Teenager hatte Naomi Klein ihre Hippie-Eltern abgelehnt und lieber mit Barbie-Puppen gespielt. Im Highschool-Jahrbuch war über das konsumfreudige Mädchen, das damals ständig seine Haarfarbe wechselte, zu lesen: "Sie wird wahrscheinlich im Knast landen wegen Diebstahls von Haarfärbemitteln."

Alles vergessen. An der Uni wurde Naomi Klein politisiert, als sie erlebte, wie ein Amokläufer 14 Frauen erschoss, nachdem er zuvor "You're all a bunch of fucking feminists!" geschrien hatte. Seither ist sie Feministin. Seither will sie mehr Demokratie und Gerechtigkeit für alle.

Auf der Straße wird man sie aber nicht finden: "Ich mag keine großen Menschenmengen und skandieren kann ich auch nicht." Also schreibt sie über "die erste echte internationale Volksbewegung". Und kritisiert. Sogar die Demonstranten, die nicht bloß von Spektakel zu Spektakel ziehen dürften. Stattdessen könnten die Unzufriedenen, so Klein, eine Bewegung der Bewegungen bilden, die alle auf lokaler Ebene gegen Globalisierungsdefekte agieren zunächst mit lokalen Programmen und dem gemeinsamen Ziel, sich die Demokratie zurückzuholen.

Naomi Klein ist nicht nur eine Chronistin der Globalisierungsgegner, sie ist einer ihrer wichtigsten Vermittler ins bürgerliche Lager. Deshalb war ihr schnell klar, dass sich die Bewegung jetzt verändern muss, will sie nicht untergehen. "Angriffe auf Symbole des Kapitalismus selbst friedliche stehen nach dem 11. September in einer vollständig veränderten semiotischen Landschaft." Für die Vertreter des Free Trade stehen die Anti-Globalisierer nun auf der Seite der Terroristen. Die Unterscheidungen vor dem WTO-Gipfel in Katar sind klar: "Handel bedeutet Freiheit, Handelsbeschränkungen Faschismus."

Die Bewegung müsse nun, rät Klein, schnell den Begriff "Anti-Globalisierung" fallen lassen und sich zu ihren eigentlichen Zielen bekennen: "Wir müssen Pluralität, Fortschritt und echte Demokratie anstreben. Es war noch nie so dringlich wie jetzt, auf die Möglichkeiten jenseits des ökonomischen Fundamentalismus der „McWorld“ und des religiösen Fundamentalismus des „Djihad“ hinzuarbeiten."

In Zeiten blinder Solidarität ist das ein erfreulich differenzierender Ansatz. Einer, der schnell untergepflügt werden könnte. Doch Naomi Klein ist zuversichtlich. Wie immer: "Ich bin optimistisch. Das ist einfach mein Naturell."

Einen kleinen Anlass zur Freude hatte sie Ende Oktober. Nachdem der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen als Gast in die "Oprah Winfrey Show" (die alleine in den USA 26 Millionen Zuschauer hat und darüber hinaus in 112 Ländern ausgestrahlt wird) eingeladen worden war, fühlte er sich sehr unwohl mit dem großen Oprah-Logo, das sogleich auf seinen Roman aufgedruckt wurde: "Muss das auf dem Cover sein - ein Unternehmenssiegel neben meinem Namen?" Franzen war der erste Kandidat, der sich lieber "no logo" wünschte; prompt wurde er wieder ausgeladen. Jetzt wird er ein paar Hunderttausend Bücher weniger verkaufen. Integrität kostet. Naomi Klein muss mächtig stolz auf ihn sein.

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