Konzerne wie Nike und McDonald's verwandeln den Planeten in einen globalen Absatzmarkt. Doch gegen diese neuen Machtzentren formiert sich weltweiter Widerstand Zusammenfassung des Buches "No Logo", ursprünglich in brandeins erschienen Was soll man von den außergewöhnlichen Szenen halten, die sich während des Weltwirtschaftsgipfels in Seattle oder beim Weltwirtschaftsforum in Davos abspielten? Ein Reporter der »New York Times« meinte, die lautstarke Massenbewegung gegen die unregulierte Globalisierung hätte sich über Nacht materialisiert. Im Fernsehen bekamen es die zuverlässigen Experten, die sonst alles erklären, nicht auf die Reihe, ob es sich um rechte Nationalisten oder marxistische Globalisten handelte. Sogar die amerikanische Linke wunderte sich, dass sie, entgegen früherer Berichte, offensichtlich noch existierte. Trotz der scheinbar
nicht zusammenhängenden Ursachen der Proteste, die in Seattle und Davos zusammentrafen,
gab es ein gemeinsames Ziel: die multinationalen Konzerne im Allgemeinen und McDonalds,
The Gap, Microsoft und Starbucks im Besonderen. Ein profunder Wandel in den Prioritäten
heutiger Konzerne verlieh diesen Bewegungen eine neue Energie und auch eine neue
Dringlichkeit. Dieser Wandel dreht sich um die Idee des Corporate Branding, dem
Streben der Konzerne nach dem stärksten Marken-Image: eines der prägenden
Themen für die erste Dekade des 21. Jahrhunderts. Doch die Rolle der Marke hat sich gewandelt, insbesondere im Laufe der vergangenen 15 Jahre. Heute ist sie weniger Garant für den Wert eines Produktes die Marke selbst ist mehr und mehr zum Produkt geworden. Sie ist eine freibewegliche Idee, die auf unzählige Oberflächen aufgetragen wird. Das eigentliche, den Markennamen tragende Produkt ist zu einem Medium geworden, so wie das Radio oder Plakatwände. Die Botschaft lautet: Es ist Nike. Es ist Disney. Es ist Microsoft. Es ist Diesel. Es ist Caterpillar. Die Marke sei ursprünglich ein Qualitätszeichen gewesen, sagte der große Grafikdesigner Tibor Kalman, heute ist sie eine stilistische Tapferkeitsmedaille. Dieser Wandel im Rollenverständnis der Marke entstammt einem Konsens unter den Konzernen, der in den späten Achtzigern aufkam. Konzerne seien zu aufgebläht, hieß es damals: Sie seien übergewichtig, besäßen zu viel und beschäftigten zu viele Menschen. Einst war die Produktion von Gütern das Hauptanliegen jedes Unternehmens. Doch nun schien die Produktion, also der Unterhalt eigener Fabriken und das Übernehmen von Verantwortung für zehntausende von Vollzeit-Arbeitskräften, plötzlich eine furchtbar schwere, nahezu unzumutbare Verpflichtung zu sein. Also stellten die Nikes
und Microsofts und später auch die Tommy Hilfigers und Intels die kühne
Behauptung auf, Produktion sei nur ein zufälliger Bestandteil ihrer Betätigungen.
Was diese Unternehmen primär produzierten, wären keine Dinge, sondern
Ideen und Images für ihre Marken. Und ihre tatsächliche Arbeit bestünde
nicht in der Manufaktur, sondern dem Aufbau ihrer Marken. Schlaue Werbeagenturen
bezeichneten sich fortan als Marken-Fabriken und hämmerten die wahren Werte
aus dem Rohling Marke: die Idee, den Stil, die Haltung. Aus diesen berauschenden
Tagen lernen wir heute noch immer: All diesen markengesteuerten
Unternehmen liegt in etwa dieselbe Formel zugrunde: Schnell weg mit diesen
Gewerkschafts-Fabriken im Westen kaufe deine Produkte lieber bei asiatischen
oder südamerikanischen Vertragspartnern oder Zwischenhändlern. Dann
nimm das gesparte Geld und gib es für deine Marke aus für Werbung,
Marken-Superstores und Sponsoring. Aufgrund des überwältigenden
Erfolgs dieser Formel besteht die Welt der Konzerne mittlerweile aus einer Art
Wettkampf um die Schwerelosigkeit: Die Unternehmen, die am wenigsten besitzen,
die am wenigsten Beschäftigte halten und die die coolsten Ideen (im Gegensatz
zu Produkten) produzieren, gewinnen das Rennen. Solche Unternehmen kommen mir
wie transzendente Marken vor, deren Ziel darin besteht, nahezu allem zu entfliehen,
das irdisch erscheint, und die sich stattdessen zur reinen Idee vergeistigen,
wie eine Seele, die gen Himmel steigt. So ein Unterfangen ist übrigens nicht
nur für Marken, sondern auch für Menschen erreichbar. Es gibt menschliche
Marken, genauso wie unternehmerische Marken, die ebenfalls jegliche Verbindung
zu dem, was man gemeinhin als Sachen machen bezeichnet, aufgegeben
haben. Bill Gates hat als CEO von Microsoft gekündigt, sodass er nun seiner
wahren Mission nachgehen kann: Die tatsächlichen Ausmaße dieses Wandels wurden erst durch die Explosion der Internet-Aktien offenkundig, die den totalen Triumph des Branding markierten. Das war der Aufstieg von Unternehmen, von denen die meisten noch beweisen mussten, dass sie in der Lage sind, Profit zu erwirtschaften, die fast ausschließlich Ideen ihrer selbst waren und in der realen Welt kaum eine Spur hinterlassen hatten. Was sie an der Börse verkauften, war reinste, ungepanschte Marke. Der Wandel zum Branding
erklärt viele der wirtschaftlichen und kulturellen Erscheinungen des letzten
Jahrzehnts. Denn ein markengesteuertes Unternehmen erreicht seine Macht nicht
per se durch die Ansammlung von Werten. Es muss seine Markenidee auf so viele
kulturelle Oberflächen wie nur eben möglich projizieren: So werden wirtschaftliche
Phantome real. Stellen Sie sich ein markengesteuertes Unternehmen als einen sich
ständig ausbreitenden Ballon vor. Öffentlicher Raum, neue politische
Ideen und avantgardistisches Image sind das Gas, mit dem er sich füllt. Doch das ist nur der
Anfang. Nike, das vormals Athleten sponserte, kauft nun komplette Sportveranstaltungen.
Disney, das mit seinen Filmen und Themenparks eine abgelaufene Version Kleinstadt-Amerikas
verkaufte, besitzt und unterhält nun eine Kleinstadt, Celebration, Florida.
In diesen Markenschöpfungen können wir die ersten Wohnblöcke einer
total privatisierten sozialen und kulturellen Infrastruktur erkennen. Die Unternehmen
dehnen den Stoff ihrer Marken in derart viele Richtungen, dass sie sich in zeltartige
Enklaven verwandeln, groß genug, um jegliche Anzahl von Kernaktivitäten
zu behausen, vom Shopping, über Entertainment bis zum Urlaub. Ein anderer Effekt
des Markeneinflusses ist die Beschränkung der Auswahl. Marken sind im Kern
selbstsüchtige Wesen, sie müssen Wettbewerber ausschalten und hermetische
Markensysteme errichten. So schließt Reebok, sobald es einen Sponsoringdeal
für Hochschulathletik landet, nicht nur konkurrierende Marken aus, sondern,
wie im Fall der Universität von Wisconsin, untersagt auch alle herabwürdigenden
Bemerkungen von Angestellten der Schule über die Marke Reebok. Solche Nicht-Herabwürdigungs-Klauseln
sind in Uni-Sponsorship-Verträgen Standard. Nachdem Disney ABC gekauft hatte,
beschloss man, dass ABC News nicht weiter über Disney-Skandale berichten,
sondern lieber die neuen Filme synergetisch promoten solle. Freuen
wir uns auf mehr, wenn demnächst AOL und Time Warner nach ihrem Merger Der Aufbau einer Supermarke ist außergewöhnlich teuer. Eine Marke benötigt konstante Aufmerksamkeit, Pflege, Erneuerung und Ausdehnung. Marketing benötigt reichhaltige Ausgaben, dementsprechend groß ist der Widerstand, in Produktionsstätten und Arbeit zu investieren. Unternehmen, die sich bisher mit Steigerungsraten von 100 Prozent zwischen den Kosten ihrer Werksproduktion und dem Einzelhandelspreis zufrieden gaben, waren in den vergangenen zehn Jahren damit beschäftigt, den Globus nach Fabriken abzugrasen, die ihre Produkte so billig produzieren können, dass die Steigerungsrate derzeit 400 Prozent beträgt. An dieser Stelle kommen die Freihandelszonen der Entwicklungsländer ins Spiel (frei bedeutet hier: frei von Steuern oder gar Lohn- und Arbeitsregulierungen). In Indonesien, China, Mexiko, Vietnam, den Philippinen und anderswo entwickeln sich die exportverarbeitenden Zonen (wie diese Gebiete genannt werden) zu führenden Produzenten von Kleidung, Spielzeug, Schuhen, Elektronik und Autos. Weltweit existieren rund 1000 solcher Zonen, sie umfassen über 70 Länder mit 27 Millionen Arbeitern. Hinter den Toren dieser
Zonen setzen die Arbeiter die Fertigprodukte unserer Markenwelt zusammen: Nike-Laufschuhe,
Gap-Pyjamas, IBM-Computerbildschirme oder VW Käfer. Dennoch scheinen diese
Zonen die einzigen Orte auf der Welt zu sein, an denen sich die Marken halbwegs
bedeckt halten. Sie wirken sogar geradezu nüchtern. Nirgendwo sieht man Namen
oder Logos quer über die Fassaden gepinselt. Und wo genau ein bestimmtes
Markenprodukt hergestellt wird, bleibt oft geheim. Im Gegensatz zu den nach Marken
sortierten Superstores, werden hier konkurrierende Labels oft Seite an Seite in
derselben Fabrik produziert, von denselben Arbeitern zusammengeklebt, auf denselben
Maschinen genäht und gelötet. Egal, wo diese Zonen sich befinden, die
Stunden sind lang: Diese Industrienischen
sind umgeben von einem Nebel aus Ungenauigkeit und Aufbruch. Die Lizenverträge
kommen und gehen ohne Vorwarnung (in Guatemala heißen die Fabriken Schwalben,
da sie jederzeit fortziehen könnten). Die Arbeiter sind vorwiegend Migranten,
fern von zu Hause, sie haben kaum eine Verbindung zu dem Ort, an dem sie sich
wiederfinden. Die Arbeitsverträge sind von kurzer Dauer und werden selten
erneuert. Viele Fabrikarbeiter auf den Philippinen werden von Beschäftigungsfirmen
aus den Zonen angeheuert, sie sammeln die Lohnschecks ein und kassieren Anteile
in anderen Worten: Wir befinden uns in einem sonderbaren Widerspruch: Nie waren Marken in unserem Leben so allgegenwärtig, noch haben sie jemals so viel Reichtum produziert. Um uns herum sehen wir lauter neue Markenschöpfungen, die kulturelle Institutionen und öffentlichen Raum ersetzen. Und dennoch sind diese Unternehmen zur gleichen Zeit auf eine der unmittelbarsten Weisen an unserem Leben seltsam unbeteiligt: nämlich als dauerhafte Arbeitgeber. Einst identifizierten sich die Weltkonzerne untrennbar mit ihrer Rolle als Motoren des Wachstums nationaler Arbeitsmärkte und benutzten das als Zugang, um alle möglichen Arten staatlicher Unterstützung zu bekommen nun identifizieren sie sich lieber als Motoren des Wirtschaftswachstums. Die Ausmaße dieses Wandels sind nicht zu unterschätzen. Unter den Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter in den USA, Kanada und Großbritannien ist die Zahl derjenigen mit Vollzeit-Jobs und Dauerstellung, die also für jemand anderen arbeiten als für sich selbst, in der Minderheit. Zeit-, Teilzeitarbeiter, Arbeitslose und solche, die sich gänzlich aus dem Arbeitsmarkt zurückgezogen haben sei es, weil sie nicht arbeiten wollen oder weil sie es aufgegeben haben, nach Arbeit zu suchen machen nun die Hälfte der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus. Wie wir wissen, erbringt
diese Formel kurzfristig Rekordprofite. Sie könnte sich jedoch als strategische
Fehlkalkulation herausstellen. Wo Unternehmen als funktionierende Vehikel für
die Distribution von Wohlstand verstanden werden Arbeit und Steueraufkommen
verteilend ernten sie dafür tief gehende bürgerliche Loyalität.
Im Austausch für regelmäßigen Lohn und stabile Sozialgefüge
verbünden sich Bürger mit den Interessen und Schicksalen des lokalen
Wirtschaftssektors und stellen nicht zu viele Fragen über, sagen wir mal,
Wasserverschmutzung. Mit anderen Worten: Verlässliche Arbeitsplätze
dienten als eine Art Rüstung, die die Unternehmen vor dem Zorn abschirmte,
der sich möglicherweise gegen sie gerichtet hätte. Doch haben die markengesteuerten
multinationalen Konzerne, ohne dass sie das bemerkt hätten, eben genau diese
Rüstung abgelegt: Zuerst kam ihre Darin besteht die echte
Tragweite von Seattle und Davos. Um uns herum sehen wir die frühen Anzeichen
dieser Wut: erste, oft grob markierte Verteidigungslinien gegen die Herrschaft
der Marken. Wir beobachten zum Beispiel den Anstieg des culture jammings,
das die unternehmenseigenen Anzeigen adaptiert, um Botschaften zu senden, die
sich krass von deren ursprünglicher Intention unterscheidet. So wird zum
Beispiel Apple Computers Ich war nie gänzlich von der Kraft des culture jammings überzeugt: Einen Krieg, der ausschließlich mit Bildern geführt wird, gewinnt doch sicher derjenige mit den meisten Bildern, oder nicht? Doch die Prinzipien des culture jammings die Macht eines Markennamens als einen Markenbumerang gegen sie anzuwenden werden für viel direktere und unmittelbarere politische Auseinandersetzungen importiert. Der große globale Wirtschaftskampf wird aktuell so ausgetragen, dass sich Menschen auf ein oder zwei Markenkonzerne fokussieren und sie auf den Maßstab politischer Metaphern vergrößern. Diese Strategie erscheint immerhin Erfolg versprechender als die Jahrzehnte der politischen Auseinandersetzung auf Regierungsebene. Denken Sie nur an die
Kampagnen, die die Reiserouten von Markenartikeln bis zu ihren unmarkenhaften
Ursprüngen zurückverfolgen: Nike-Turnschuhe in die Fabriken nach Vietnam;
Starbucks Milchkaffee bis zu den sonnenverbrannten Felder in Guatemala oder wie
jetzt Ost-Timor. Und Nehmen Sie McDonalds.
Die Eröffnung von 23000 Filialen hat mehr als nur das Hohelied der schnellen,
uniformen Nahrung verbreitet. Sie wird in der Öffentlichkeit auch unausweichlich
mit Viele Super-Marken
spüren den Rückschlag. Mit der typischen Untertreibung stellt Mark Moody,
CEO von Royal Dutch Shell, fest: Früher, wenn Sie in Ihren Golfclub
oder zur Kirche gingen und sagten, ich arbeite für Im Herzen dieser Fokusveränderung
liegt die Erkenntnis, dass Konzerne viel mehr sind als die Hersteller der Produkte,
die wir alle begehren. Ich bezweifle, dass
die aktuelle Welle des Antikonzern-Aktivismus ohne den Markenwahn möglich
gewesen wäre. Wie wir gesehen haben, bauen Marken eine sehr geradlinige Beziehung
zwischen Käufer und Verkäufer auf, die sich durch den Versuch,
Marken zu Medienlieferanten, Kunstproduzenten, Marktplätzen und Sozialphilosophen
zu machen mittlerweile in etwas sehr Intimes verwandelt hat. Doch je erfolgreicher
dieses Näheprojekt ist, desto verwundbarer werden die Unternehmen dem Markenbumerang
gegenüber. Wenn Marken tatsächlich eng mit unserer Kultur und Identität
verwoben sind, so werden ihre Verbrechen nicht einfach als Fehltritte eines Unternehmens
verziehen, das irgendwie eine Mark machen muss. Zu viele Menschen bewohnen diese
Markenwelten, sie fühlen eine gewisse Komplizenschaft in diesen Vergehen,
sie sind verbunden und schuldig zugleich. Und diese Beziehungen sind flüchtig,
verwandt mit der Beziehung zwischen Fan und Star: emotional intensiv, doch oberflächlich
genug, sich beim kleinsten Anzeichen zu ändern. Hinter den Protesten
in Nike-Town, hinter der Torte in Bill Gates Gesicht, hinter dem eingeworfenen
McDonalds-Fenster in Paris und hinter den Protesten in Seattle und Davos
steckt zu tiefe Abneigung, als dass ihr mit den herkömmlichen Methoden beizukommen
wäre. Weltweit machen sich
Aktivisten freizügig das Werkzeug zu Eigen, dass die Fantasie der Konzerne
so sehr in Bann hielt: Branding. Marken-Image, die Quelle des Reichtums, ist auch,
wie sich herausstellt,
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