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ideen zu einer modernen staatsform
April 1991, ausgedruckt 9 Seiten

  1. Definitionen
  2. Erste Überlegungen
  3. Grundsätzliches zu unserer idealen Staatsform
  4. Konkrete Ideen im Einzelnen


Es ging uns nicht darum, Grund und Entstehungsweise eines Staates zu untersuchen. Wir nahmen einfach an, daß ein Staat existiere, und versuchten, seinen Zweck und die dazu geeignete Form zu beschreiben.

Dabei waren:
Niels Boeing, Melanie Frydrychowicz, Robert Gillenkirch, Richard "Ritschi" von Heusinger, Robert von Heusinger.




1 Definitionen

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Ein Staat ist ein fest abgestecktes Gebiet, in dem eine bestimmte Menschenmenge nach einer bestimmten Ordnung zusammenlebt. Diese Ordnung ist in einer Verfassung festgelegt und regelt die Gewaltanwendung zu ihrer Durchsetzung und Aufrechterhaltung. Staat und Anarchie schließen sich aus, da Anarchie die Auflösung aller gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung bedeutet (was uns zunächst nicht ganz klar war). Ein Staat ist souverän, wenn er anderen Staaten rechtlich gleichgestellt ist, von diesen unabhängig und uneingeschränkte Verfügungsgewalt über sein Hoheitsgebiet hat. Das bedeutet, daß Verteidigungsfähigkeit keine Voraussetzung für die Souveränität eines Staates ist, was man an Staaten ohne Armee (z.B. Island) sehen kann. Natürlich ist die Souveränität solcher Staaten leichter verletzlich als die militärisch mächtiger.
Der Souverän eines Staates ist diejenige Gruppe von Menschen, bei der die Staatsgewalt liegt. In welcher Beziehung stehen nun die Wörter souverän und der Souverän zueinander, die man zunächst leicht durcheinanderbringt? Unsere Erklärung fiel dazu so aus: Ein Staat ist solange souverän, wie seinem Souverän nicht von außen die Staatsgewalt genommen wird.

2 Erste Überlegungen

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Um den Zweck des Staates zu bestimmen, betrachteten wir zuerst einige Theorien über den Ursprung des Staates. Der Staat entsteht durch eine göttliche Stiftung, durch einen Akt der Eroberung (z.B. Marx) oder durch einen Vertrag seiner Bürger, den sogenannten Gesellschaftsvertrag (Hobbes, Rousseau, Locke). Bei Aristoteles führen drei Dinge zur Entstehung des Staates: Wirtschaftliche Überlegungen, der Hang des Menschen zu Geselligkeit und sein Wunsch, ein angenehmes Leben zu führen. Angenehm ist hier nicht nur im Sinne von Essen, Trinken und Schlafen zu verstehen, es beinhaltet auch Kultur und Zivilisation.
Dieses angenehme Leben ist für Aristoteles denn auch der Zweck des Staates. Da wir nicht definieren können, was ein angenehmes Leben genau ist, entschieden wir uns, den Staatszweck auf die Ermöglichung eines angenehmen Lebens zu beschränken. Der Staat soll Rahmenbedingungen setzen, in denen jeder Bürger des Staates sein angenehmes Leben führen kann:

  1. Garantie der Menschenrechte
  2. Sicherstellung der Ordnung des Zusammenlebens
  3. Äußere Sicherheit
  4. Förderung des gemeinschaftlichen Lebens
  5. Schutz der Schwachen

Es erschien uns wichtig, auf den Unterschied zwischen Staatsvolk und Gesellschaft einzugehen. diese beiden Menschengruppen sind nämlich nicht identisch. Diese beiden Menschengruppen sind nämlich nicht identisch. Es gibt Mitglieder der Gesellschaft in einem Staat, die nicht Angehörige dieses, sondern eines anderen Staates sind, aber hier leben: umgekehrt sind Staatangehörige, die im Ausland leben, nicht Mitglieder der Gesellschaft ihres Staates, dem sie angehören. Dies mag dem einen oder anderen banal vorkommen, doch ist es wichtig, zu sehen, daß der Staat allen Bürgern, die in ihm leben, ein angenehmes Leben ermöglichen soll, auch seinen Gästen, die ihm nicht angehören, wohl aber seiner Gesellschaft. Fragt man sich nun, welche Staatsform all diese Überlegungen am besten erfüllt, muß man zwischen Gerechtigkeit und Effizienz abwägen. Eine Basisdemokratie für einen Millionenstaat wäre vielleicht sehr gerecht, aber äußerst ineffizient wegen des enormen Organisationsaufwands bei Wahlen und Abstimmungen. Staatsformen, die die Staatsgewalt von vorneherein in die Hände weniger legen, sind erfahrungsgemäß effizient zu regieren, aber aus unserem modernen Demokratieverständnis heraus sehr ungerecht. Wir wollten uns jedoch nicht auf die Idee der Volkssouveränität versteifen, sondern fanden, daß diejenige Menge von Menschen der Souverän sein soll, die zur Erfüllung des Staatszwecks am besten geeignet sei. Dies beinhaltet dann die Gewährleistung der Menschenrechte, die zum Maßstab für die Qualität einer Staatsform wird. Die einzig gute Staatsform muß also nicht ausschließlich die Demokratie sein, auch wenn dies in der Gegenwart gemeinhin angenommen wird. Erste konkrete Überlegungen, die natürlich nicht unbeeinflußt von der Staatsform der Bundesrepublik sind, gingen dahin, ein parlamentarisches System zu entwickeln, das ohne Parteien funktioniert und auf einer überschaubaren Ebene (der Kommunen) noch basisdemokratische Elemente enthält.

3 Grundsätzliches zu unserer idealen Staatsform

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In welchem Verhältnis stehen Individualismus und Kollektivismus zueinander? Wer ist das Maß aller Dinge im Staat, die Gemeinschaft oder der einzelne? Wir setzten den Schwerpunkt nicht einheitlich, waren uns aber zumindest über die individualistische Grundausrichtung einig, die sich ja im Staatszweck manifestiert. Wir untersuchten also verschiedene Aspekte, in denen eine Abwägung zwischen beiden Elementen möglich ist.

3.1 Materieller Aspekt, Eigentum (Sozialstaatsidee)

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Robert H und Meli setzten den Schwerpunkt hier zunächst auf das kollektivistische, Robert G und Niels auf das individualistische Element. Es ergab sich folgender Kompromiß: Der Staat setzt materiell einen kleinsten gemeinsamen Nenner fest, unter den kein Bürger kommen darf. Dieses Minimum an Geld und Gütern soll dem Staatszweck entsprechen und über dem Existenzminimum liegen, eine Art kollektives Sicherheitsnetz bilden. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt, es sei denn, die individuellen Betätigungen eines Bürgers gefährden dieses kollektive Sicherheitsnetz. Es gibt aber keinen kollektiven Durchschnitt, an dem alle Bürger, die darüber liegen, so nah wie möglich dran bleiben müssen.

3.2 Recht

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Ist das Recht kollektivistischer Natur, da es gleichermaßen für alle gilt (Ritschi), oder individualistisch, das es verschieden angewandt und ausgelegt wird beim einzelnen (Robert G)? Da es nicht für jeden Bürger ein individuelles Recht geben kann, gibt es ein kollektives, daß nach den Eigenarten eines jeden ausgelegt wird. Daß die Bürger vor dem Gesetz gleich sind, bezieht sich auf die Tatsache, daß niemand rechtliche Privilegien genießen soll - es geht einfach um "Bürger-Sein" aller daß nicht von Klassen oder anderen Kategorien abhängt. Die unterschiedliche Auslegung des Rechts beim einzelnen hingegen kann man am Strafrecht leicht nachvollziehen, wo gleiche Delikte nicht unbedingt gleich bestraft werden können.

3.3 Das alltägliche Leben

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Es gibt kein Kollektiv, das die Gestaltung des eigenen Lebens vorschreibt - jeder darf für sich entscheiden, wie er handelt und entscheidet (jedenfalls im Rahmen des gültigen Rechts). Wenn er sich gesellschaftlichen Zwängen unterwirft, ist das eine freie Entscheidung, zumindest theoretisch.

3.4 Erziehung

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Erziehung ist keine rein individuelle Angelegenheit mehr, also nicht ausschließlich der Familie überlassen. Auch hier muß wieder ein kleinster gemeinsamer Nenner als kollektivistisches Element vom Staat geschaffen werden:
- Vermittlung der Grundrechte - Soziales Bewußtsein - Seelisch-körperliches Selbstverständnis
Die Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit ist nicht immer in der Lage, dieses "staatsbürgerliche Bewußtsein" zu vermitteln, das bei allen Bürgern vorhanden sein sollte, damit der Staat funktionieren und seinen Zweck erfüllen kann. Der Staat kann nicht zulassen, daß eine rein private Erziehung in der Familie sich möglicherweise gegen seine Fundamente oder dieGrundrechte anderer Bürger richtet.

3.5 Rechtsprechung

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Die Rechtsprechung ist in der Realität insofern nicht ganz unabhängig von der materielllen Lage eines Bürgers, als sich Wohlhabende einen teureren und besseren Anwalt leisten können als weniger Begüterte. Auch hier sollte der Individualismus so korrigiert werden, daß alle Bürger die Aussicht auf ein gerechtes urteil haben. Allerdings konnten wir uns nicht auf eine Regelung einigen; es gab folgende Vorschläge:

- Keine freie Wahl des eigenen Verteidigers, sondern Auswahl aus drei vom Gericht bestimmten Anwälten; drei Anwälte deshalb, um Berufswettbewerb unter den Anwälten zu erhalten, da sonst mit der Zeit die Qualität leiden könnte (Robert H).

- Pflichtversicherung für den Rechtsschutz eines jeden Bürgers, aber weiterhin freie Auswahl des Verteidigers (Niels). - Ein "Hausarzt-System" aufbauen: Jedes Gebiet (Ort, Stadtteil) hat bestimmte Anwälte, die dem Bürger als Ansprechpartner im Deliktfall bekannt sind (Meli, Ritschi).

- Besteuerungssystem: Will ein Bürger mit hohem Einkommen einen teuren Anwalt, so muß er mehr als den tatsächlichen Preis des Anwalts zahlen. Die Differenz kommt in einen Fond für einkommensschwächere Bürger, damit diese sich ebenfalls einen besseren Anwalt leisten können (Robert G).

Ein anderer grundsätzlicher Punkt ist die Frage, wie die Staatsgewalt kontrolliert und vor Mißbrauch geschützt werden kann. Hiezu gibt es die bekannte Lehre von der Gewaltenteilung (Montesquieu), die Staatsgewalt in ausführende (Exekutive), gesetzgebende (Legislative) und rechtsprechende (Judikative) Gewalt aufteilt. Diese überwachen sich gegenseitig und verhindern eine Machtkonzentration in den Händen weniger.
Genügt aber diese Zerlegung in drei Gewalten, oder haben sich in den modernen Staaten der Gegenwart neue Gewalten gebildet, die es vor zweihundert Jahren noch nicht geben konnte?
Wir fanden, daß man mittlerweile die Medien als informative Gewalt und die Bundesbank oder sonstige Zentralbanken der heutigen Industriestaaten als monetäre Gewalt bezeichnen kann. An dieser Stelle sei gesagt, daß die Träger einer solchen Gewalt (im staatsrechtlichen Sinne) über sachliche oder personale Mittel verfügen müssen, um im Falle einer Gehorsamsverweigerung entsprechende, differenzierte Gewaltanwendungen durchführen und Macht ausüben zu können. In unserer idealen Staatsform müssen wir diese neuen Gewalten berücksichtigen, die wir mit den drei klassischen zusammen als direkte Gewalten einstuften.
Darüberhinaus gibt es nämlich zwei indirekte Gewalten, die zwar keine im staatsrechtlichen Sinne sind, aber genug Macht besitzen, um auf die direkten Gewalten einzuwirken: Die Wirtschaftslobbies mit ihrer teils enormen wirtschaftlichen Macht und die politischen Parteien, die durch Partei- und Fraktionszwänge (in den Parlamenten) und zu wenig Alternativen die politische Willensbildung einschränken. Die Parteien wollen wir, wie noch erläutert wird, als indirekte Gewalt entmachten, weil sie durch eine personelle Verbindung der anderen Gewalten in Gestalt ihrer Mitglieder die Idee der Gewaltenteilung allmählich aushöhlen.
Eine andere Maßnahme, dieser Idee neue Geltung und Wirksamkeit zu verschaffen, könnte das Verbot sein, mehrere Ämter in den verschiedenen Gewalten gleichzeitig innezuhaben (z.B. Parlamentsabgeordneter und Regierungsmitglied in einer Person zu sein). Besonders das Verhältnis zwischen Medien (Informative) und Justiz (Judikative) müßte neu gestaltet werden, so daß Indiskretionen im Vorfeld von Prozessen, die zu Vorverurteilungen in der Meinung führen, ausgeschlossen werden, um eine faire und unpartiische Rechtsprechung zu gewährleisten.

4 Konkrete Ideen im Einzelnen

4.1 Gewaltanwendung

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Der Staat hat das Gewaltmonopol, da andernfalls die Rechtsordnung durch das Recht des Stärkeren und reine Willkür verdrängt wird. Der Staatszweck ist nur mit einem staatlichen Gewaltmonopol erreichbar. Gegengewalt von seiten des Bürgers ist immer illegal, solange der Staat die Menschenrechte nicht verletzt. Sie kann aber aus seiner Sicht legitim, d.h. mit seinen Wertvorstellungen konform sein, was ihm trotzdem nie Straffreiheit einbringen wird. Gewaltsamer Widerstand ist nur bei eklatanter Verletzung der Menschenrechte erlaubt.

Alle gesellschaftlichen Wertkonflikte müssen also gewaltfrei im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung gelöst werden. Im übrigen muß Gewalt nicht physischer Natur sein, auch durch Passivität kann Zwang ausgeübt werden.

4.2 Basisdemokratische Elemente

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Liegt die Staatsgewalt beim, soll es sie direkt ausübern, soweit es dazu in der Lage ist. Die Basisdemokratie ist die direkteste Form dieser Ausübung, praktizierbar jedoch nur auf kommunaler Ebene und auch dort nicht ausschließlich. Im größeren Rahmen verliert sie ihre Effizienz uns ist organisatorisch schwer durchführbar wegen der Häufigkeit der nötigen Abstimmungen, während im kleinen das Problem besteht, daß zu viele (kommunale) Abstimmungen der Bürger zu Politikmüdigkeit und Desinteresse führen, bis eine interessierte Gurppe von 30 - 40 % die Abstimmungen und damit die Politik bestreitet. Direkte Abstimmungen der Bürger über Kommunalpolitik sollen deshalb zusammengefaßt werden (etwa einmal im Quartal) und nur die wichtigsten Themen betreffen. Die Bürger wählen direkt einen Bürgermeister sowie ein Stadtparlament, das diesen kontrolliert und über Gesetzesvorlagen entscheidet, die nicht in den Bürgerabstimmungen enthalten sind.
Volksabstimmungen auf Länder- oder Bundesebene sollten nur in wichtigen Ausnahmenfällen stattfinden, jedoch nicht zum Standardmodus für politische Entscheidungen werden. Denn die öffentliche Meinung einer Millionenbevölkerung ist einerseits leicht manipulierbar, hinkt andererseits aktuellen Problemen und Erfordernissen hinterher (z.B. Umweltbewußtsein und Umweltverschmutzung).

4.3 Föderalismus - Zentralismus

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Unsere ideale Staatsform ist föderalistisch, also ein Bundesstaat. Zum einen wird so der gewachsenen Struktur eines großen Gebietes und seinen regionalen Eigenheiten Rechnung getragen, indem die kleinen Einheiten, so weit sie können, sich selbst bestimmen und verwalten (nach dem Subsidiaritätsprinzip1). Zum anderen wird noch ein Minimum von Basisdemokratie ermöglicht, wozu ein zentralistischer Millionenstaat gar nicht mehr in der Lage wäre.
Der Bund als umfassende Klammer nimmt im wesentlichen eine korrigierende und schlichtende Position ein (eben im Sinne des Subsidiaritätsprinzips), etwa in der Wirtschafts- und Umweltpolitik oder der Strukturpolitik (z.B. Förderung von wirtschaftlich schwachen Regionen). Ausgenommen hiervon sind nur die Verteidigungs- und Außenpolitik, die allein seine Angelegenheit sein müssen, da diese den Staat in seiner Gesamtheit betreffen.
Eine schwierigere Angelegenheit ist das Verhältnis von Bund und Ländern hinsichtlich der Bildung und des Rechts. Bleibt die Bildung der Bürger allein den ländern überlassen, könnten die regionalen Unterschiede zu großer Chancenungleichheit im Berufsleben führen. Umgekehrt birgt eine zentral festgelegte Bildung die Gefahr einer Kollektivierung, wenn nicht gar Gleichschaltung der Bürger (die deutsche Geschichte dieses Jahrhunderts liefert ja wirklich fast alle exemplarischen Fälle politischen Lebens). Der Bund sollte lediglich sicherstellen, daß wiederum ein Minimalstandard geschaffen wird, der wenigstens eine Fremdsprache, europäische Geschichte, politische Theorien und Grundlagen der Naturwissenschaften umfaßt. Was darüber hinausgeht, ist freie Entscheidung der Länder. Es gab ein heftige Debatte über die Frage, ob Bundesrecht in jedem Fall über dem Recht eines Landes stehen soll. In einem monokulturellen Staat ist dies kein Problem, in einem multikulturellen Staat (wie einem künftigen europäischen Staat) hingegen wohl. Besonders das Strafrecht ist kulturabhängig. Delikte, die in dem einen Land als antiquiert abgeschafft wurden (z.B. Homosexualität, Ehescheidung), gelten in anderen Ländern nach wie vor, wobei solche Unterschiede dann aus Zeiten resultieren, in denen die Länder dieses multikulturellen Staates noch eigenständige Staaten waren. Als Kompromiß einigten wir uns darauf, daß Persönlichkeitsrechte, soweit sie nur die Privatsphäre des Bürgers betreffen, bundesweit einheitlich gelten und kulturelle Eigenarten dahinter zurückstecken müssen. Die soziale Verantwortung soll sogar bei den kleinsten Einheiten, den Kommunen liegen, da diese mit den Problemen und Angelegenheiten ihrer Bürger am ehesten vertraut sind. Lediglich die Kontrolle über das Sozialsystem sowie die Erhebung der Steuern zu dessen Finanzierung liegen beim Bund. Das Geld soll dann vom Bund den Kommunen zugewiesen werden, die die Berechnung und Verteilung der Sozialausgaben vornehmen.

4.4 Wahlsystem, Bundes- und Landesregierung

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Wir sind der Meinung, daß die politischen Parteien und das allmählich entstandene System der Parteiendemokratie die politische Willensbildung einengt und erschwert. Parteilosen Bürgern ist es in der Bundesrepublik so gut wie unmöglich, ins Parlament gewählt zu werden. Die Interessen der Wahlkreise werden von ihren Parlamentsabgeordneten, die sie eigentlich zu ihren Vertretern gemacht haben, oft der Parteiräson unterworfen, wenn nicht gar geopfert.
Die Existenz von politischen Parteien wird überflüssig durch die Einführung von sehr kleinen Wahldistrikten mit annähernd gleicher Einwohnerzahl. Jeder Distrikt wählt seinen Distriktvertreter. Die Distriktvertreter eines Kreises sind gleichzeitig Kreisparlament (zur Kontrolle der Kreisverwaltung) und Wahlmännergremium. Sie bestimmen aus ihrer Mitte einen Abgeordneten des Kreises für das Landes- und einen für das Bundesparlament. Die Legislaturperiode beträgt sechs Jahre, nach der sie ihren Abgeordneten austauschen oder bestätigen können, während alle zwei Jahre ein Drittel der Distriktvertreter eines Kreises (des Kreisparlaments) neu gewählt werden. Damit die Kandidatur zum Distriktvertreter nicht vom Vermögen des Bewerbers abhängt, sollen eine einheitliche Wahkampffinanzierung und - organisation eingeführt werden, die von der Kommune, in der der jeweilige Distrikt liegt, durchgeführt wird. Parteikandidaten sind also denselben Wahlkampfbedingungen unterworfen wie parteilose Kandidaten. Da die Distrikte klein und überschaubar sind, sind die Bürger eher in der Lage, ihre potentiellen Distriktvertreter persönlich zu kennen und sich mit ihnen zu identifizieren. Jeder Distriktvertreter benennt im übrigen einen Stellvertreter im Falle seiner Wahl zum Kreisabgeordneten.
Die Ministerpräsidenten des Bundes und der Länder werden von den jeweiligen Parlamenten aus ihrer Mitte gewählt und suchen ihre Kabinettsmitglieder selbst aus, die dann von den Parlamenten bestätigt werden. Regierungsmitglieder können allerdings nicht dem Parlament angehören (Gewaltenteilung). Der Bundespräsident als Repräsentant und Integrationsfigur wird direkt vom Volk gewählt. Er hat ein suspensives (also aufschiebendes) Veto, das dazu dient, seiner Kritik an Gesetzen oder Personalentscheidungen Ausdruck zu verleihen.

1Eine niedrigere Ebene gibt ihre Aufgaben nur dann an die nächste
übergeordnete Ebene ab, wenn sie sie nicht mehr allein erfüllen kann.

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© 1997 Niels Boeing