die creative gruppe

aufklärung, verführung oder nur auflage - welche rolle spielen die medien?
August 1994, ausgedruckt 14 Seiten


Dabei waren:
Moritz Avenarius, Niels Boeing, Lars Godzick, Richard von Heusinger, Robert von Heusinger, Nils Lassak, Martin Roddewig, Knut Stahrenberg




Vorwort

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Die Frage nach der Rolle der Medien stellt sich immer wieder beim alljährlichen Spiegelskandal, entzieht sich aber jedes Mal einer befriedigenden Antwort. Solch eine zu finden - und sonst eigentlich nichts - hatten wir im Sinn, als Herr Berlusconi der Frage im Frühjahr eine neue Dimension erschloß. Diese lag denn auch zentnerschwer über dem Treffen und brachte doch einen gewissen Fatalismus über das Wirkungsgeflecht von Medien und Politik zum Vorschein. Das Verhältnis von Medien und Macht sowie die Auswirkungen der Medien auf Lebensweisen und soziale Strukturen standen dementsprechend im Mittelpunkt unserer Diskussion. Die etwas vagen Ergebnisse und die vielen neuen Fragen rührten diesmal weniger von mangelndem Konsens (wie beim letzten Treffen) als von allgemeiner Ratlosigkeit angesichts spekulativer Sachverhalte her.
Mir kam es manchmal vor, als ob einige von uns sich mit großem Interesse mit der Funktionsweise einer Guillotine beschäftigten, in die sie anschließend ihren Kopf legen - die Möglichkeit durchzudenken, die Guillotine einzureißen, schien völlig indiskutabel.




Einleitung

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Die Funktionen der Massenmedien sind unbestritten: 1.) Information, 2.) Mitwirkung an der Meinungsbildung sowie 3.) Kontrolle und Kritik. Diese Funktionen sind je nach Sender bzw. Presseorgan sowohl zueinander als auch im Verhältnis zur Unterhaltung unterschiedlich gewichtet. Insgesamt aber sollte in einer funktionierenden Demokratie keine Funktion zu kurz kommen. Genau hier setzen die Fragen an: Wie können diese Funktionen hintertrieben werden, ohne zum plumpen Mittel der Zensur zu greifen, und wann droht Unterhaltung sie zu ersticken? Ist die Berlusconische "Telekratie" ein Umkippen von einem funktionierenden, demokratischen Mediensystem in ein neues, autoritäres? Ist solch ein Umkippen auch lautlos möglich, gewissermaßen ohne einen Berlusconi? Welche Rolle können und werden die Neuen Medien dabei spielen?
Die Frage ist also nicht, ob die existierenden Medien den obengenannten Funktionen gerecht werden und ob die Funktionen vernünftig sind (davon gehen wir einmal aus), sondern welche Entwicklungen denkbar sind, so daß die Medien diesen nicht mehr gerecht werden können.

Die Massenmedien (Presse, Radio, Fernsehen)

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Die Wechselwirkung zwischen dem Programm bzw. Profil verschiedener Medien und dem Publikum ist nicht einheitlich und hängt wohl von der Verarbeitungsgeschwindigkeit des Publikums ab. In diesem Sinne kann man die meisten Presseorgane als "langsame", Fernsehen/Radio als "schnelle" Medien sehen. Hat eine Zeitung/Zeitschrift mit einem bestimmten Profil eine Leserschaft gefunden, ist sie einigermaßen an das entwickelte Profil gebunden. Die Tatsache, daß Zeitungen/Zeitschriften sofort bezahlt werden müssen, führt zu einer aufmerksameren und bewußteren Verbindung mit dieser. Bestimmte Stammleserschaften von Zeitungen/Zeitschriften sind dann als Zielgruppen für die Werbung interessant. Die Anzeigenwerbung stellt aber die Haupteinnahmequelle der Presse (bis auf die bekannten Ausnahmen) dar, so daß man diese Zielgruppe gleich Stammleserschaft nicht durch häufige Profilveränderungen verunsichern und verprellen darf. Veränderungen finden also recht langsam statt, und diese Stabilität begünstigt die Wahrnehmung der drei Funktionen. Einige Zeitschriften übernehmen allerdings in letzter Zeit den "schnellen" Stil des Fernsehens, z.B. Focus ("Wir müssen so präzise schreiben, daß wir die Zeit unseres Lesers nicht verschwenden").
Da man fürs Fernsehen/Radio (fast) nichts zahlt, wird beim geringsten Anflug von Langeweile gezappt. Die Notwendigkeit, das Publikum zu fesseln und auf Zuschauerverluste schnell zu reagieren, ist also größer, zumal die Finanzierung ausschließlich über Werbung erfolgt. Auf diese Weise hat sich bei den Vollprogrammen das Infotainment-Format durchgesetzt, bei dem Zuschauer für Werbeblöcke beschafft werden. Allerdings ist bisher nicht klar, ob die Werbung im Fernsehen überhaupt den angenommenen Effekt hat, da natürlich auch sie Opfer des Zapping werden kann (und wird). Außerdem benutzen nicht wenige Leute das Fernsehen wie ein Radio, indem sie es einfach als Hintergrundberieselung laufen lassen. Der Kampf um die Werbeminuten geht indes unvermindert weiter. Die harte Konkurrenz führt beim Privatfernsehen zu einer Diversifizierung in Form von Spartenfernsehen als Pay-TV.

Beim Privatfernsehen/-radio führt dies zu einem wachsenden Übergewicht der Unterhaltung gegenüber den oben genannten Funktionen, unpolitische Programminhalte haben Konjunktur. Ausgewogene und auch politisch anspruchsvolle Vollprogramme, wie sie das Medienrecht vorschreibt und manche Betreiber vorhaben, lassen sich nicht aufrechterhalten und werden von neuen Sendern nach kurzer Zeit über den Haufen geworfen (z.B. Fernsehen: 1A in Berlin, vox; Radio: jfk in Berlin). Auf der anderen Seite sind jedoch diese Funktionen an sich schon nicht neutral. Dieses Problem kann mit dem sogenannten "Agenda Setting" der Massenmedien verdeutlichen: Die Relevanz von Nachrichten wird von den Medien, oder eben den Leuten, die dahinter stehen, produziert und ergibt sich keineswegs von selbst. Unschwer zu erkennen ist, daß sich damit Politik machen und vorbereiten läßt, wie z.B. erfundene Geschichte vom Brutkästen-Massaker in Kuweit vor dem Golfkrieg oder das Brotschlangen-Massaker in Sarajevo, dessen Authentizität bis heute nicht bewiesen werden konnte, vor dem ersten Nato-Lufteinsatz in Bosnien.
Natürlich hängt es vom jeweiligen politischen Standpunkt in einer Sache ab, ob "Investigative Journalism" als Destabilisierung oder erfolgreiche Kontrolle im Sinne einer Medienopposition gesehen wird. Nichtsdestotrotz ist die Kritik- und Kontrollfunktion unentbehrlich, aber zur Zeit im Begriff, durch eine sich abzeichnende Verflechtung von Medienkonzernen, wirtschaftlichen Interessengruppen und gewissen politischen Kreisen ausgehöhlt zu werden. Daß dies nicht länger als lächerliche "Verschwörungstheorie" abgetan werden kann, wissen wir seit ein paar Monaten. Berlusconi hat gezeigt, wie das funktioniert. Wohin der Zug, den er in Bewegung gesetzt hat, fahren könnte, läßt sich den Worten von Licio Gelli, des Gründers der heute verbotenen Geheimloge P2, zu der auch Berlusconi gehörte, entnehmen: "Heute müßte ich Ihnen sagen, es fehlt nur noch das letzte Stück: die Präsidialrepublik... Ich denke, die ist jetzt sehr nah."1

Was könnte getan werden, um auch in Zukunft in einem neuen, radikal kommerzialisierten Politik-Medien-Komplex eine kritische Gegenöffentlichkeit zum Mainstream sowie die Medienvielfalt im allgemeinen aufrechtzuerhalten und vielleicht noch zu forcieren?
Denkbare Maßnahmen wären, die Kontrollräte von Sendern, die das Programm begutachten, mit zu wählenden Bürgern zu besetzen (wie in den Niederlanden), oder eine generelle Lizenzfreigabe, um kritischen oder ungewöhnlichen Sendern den Zugang zum Markt zu eröffnen (bei den derzeitigen Verfahren kommen auf drei Lizenzen ca. 20 Bewerber, und den Zuschlag erhalten fast immer die Mainstreamkonzepte, so z.B. jfk in Berlin). Da die existierenden Landesmedienanstalten sich unfähig bzw. nicht willens gezeigt haben, den Konzentrationsprozeß der Medienkonzerne Bertelsmann und Kirch zu unterbinden, könnte man die Schaffung einer neuen Aufsichtsbehörde, etwa in Form eines Bundesmediengerichtshofes, in Betracht ziehen, damit das Medienrecht tatsächlich (!) angewendet werden kann, das solche Konzentrationsbewegungen verbietet.
Eine ungewöhnliche Idee, die enormen Widerstand provozieren würde, ist das Verbot jeglicher Fernsehwerbung, die einerseits die Existenz der Medienkonzerne - und damit potentieller politischer Machtbasen - erst ermöglicht und andererseits in ihrer Ausschließlichkeit als Existenzgrundlage allmählich eine Entpolitisierung von Fernsehen und Radion erzwingt, die gewissen politischen Strömungen hochwillkommen ist. Die Konsequenz eines solchen Verbots wäre die Entstehung reinen Pay-TV's, bei dem die Sender ihre Programme wie Zeitungen verkaufen müßten. Unsere Befürworter dieser Idee argumentieren, daß damit die Verflechtung von Wirtschaft und Medien zwar nicht aufgehoben, aber doch wesentlich entschärft wäre, da der Betrieb alternativer und/oder kritischer Programme nicht mehr von Werbebasis, sondern ausschließlich von der Qualität des Programms abhinge. Die Entscheidungsgewalt würde damit dem Bürger zurückgegeben und die Medienvielfalt gewährleistet. Diese Idee ist allerdings ohne Berücksichtigung der Tatsache ausgesponnen worden, daß das Sendestaatsprinzip gilt (im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit in den EWG- Verträgen): Ein Sender, der in einem Mitgliedsstaat der EU die Sendekriterien dieses Staates erfüllt und sendet, darf auch in der restlichen EU senden. Eine andere Strategie könnte die Schaffung eines "Gegensenders" sein, der mit den Methoden des jetzigen Medienmarktes arbeitet, sich aber ein gewisses inhaltliches Profil verordnet (z.B. keine Game-shows) und eine kritische Gegenöffentlichkeit bilden will. Die Zielgruppe wäre sinnvollerweise die Altersstufe von 10 - 30 Jahren, da diese die Macher von morgen sind und zudem eine ungemein wichtige Zielgruppe der Werbung. Attraktoren dieses Senders könnten neue Kultfilme (die meisten alten dürften leider Kirch gehören) und die gegenwärtige Independent-Musik sein, die so gut wie immer kritische Inhalte transportiert. Es ist interessant, daß Independent-Musik gemessen an Verkaufszahlen wesentlich populärer ist als ihr geringes Erscheinen in den kommerziellen Sendern - wen wundert's - vermuten läßt. Betrieben werden könnte solch ein Sender von einem Zusammenschluß alternativer Gruppen und Konzerne, z.B. Greenpeace, möglicherweise als Aktiengesellschaft, um für Ökofonds interessant zu werden. Natürlich ist dieses Konzept ambivalent, da man sich möglicherweise Methoden bedienen muß, die zu kritisieren man sich vorgenommen hat. Vor allen Dingen bleibt die grundsätzliche Frage, ob das Fernsehen für oppositionelle politische Aufklärung als Medium nicht längst verloren ist, wie einige von uns befürchten.

Die Neuen Medien (Computer, Datennetze, Virtual Reality)

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Die Vielschichtigkeit der Entwicklungen, die von den Neuen Medien ausgehen und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zum Tragen kommen, ist enorm (vgl. Lars' Thesenpapier zu den Neuen Medien im Anhang) und noch nicht überschaubar. Welche möglichen Entwicklungen erscheinen uns inmitten der Spekulationen plausibel oder bemerkenswert?

Einmal eine heute noch nicht vorhandene technische Perfektion vorausgesetzt, lassen sich einige positive Konsequenzen einer breiten Anwendung von Virtual Reality vorstellen: - Abbau von Frustrationen und Hemmungen durch Cybersex. - "Realisierung" von unmöglichen Abenteueren und Träumen. - Rückgang des Massentourismus durch virtuelle Reisen. - Abnahme der Aggressivität. - Weltweite Telekonferenzen, die das ökologisch bedenkliche Fliegen überflüssig machen. - Schon jetzt existent: Simulation zu Ausbildungszwecken (Navigation, Medizin). Aber schauen wir dem geschenkten Gaul doch einmal ins Maul - was kommt da zum Vorschein? Zunächst die mögliche Drogenwirkung von Virtual Reality. Die Gefahr, daß der Bezug zur wirklichen Welt bei übermäßigem Konsum von Virtual Reality abreißt, liegt nahe. Doch müssen wir uns bald der Diskussion stellen, was unter diesen veränderten Bedingungen "Wirklichkeit" bedeutet. Wie viele VR-Junkies kann sich aber die Konsumgesellschaft leisten, wenn die Leute plötzlich lieber virtuelle statt echte Produkte konsumieren wollen? Entweder Virtual Reality wird wie Glücksspiel als staatlich konzessionierte Droge in "VR- Höllen" kontrolliert, um einen Konsumausfall zu verhindern, oder es entwickelt sich vielleicht ein ganz ausgeklügeltes Konsumsystem, daß den Konsum realer Produkte (bzw. den Nachweis dessen) zur Voraussetzung an der Teilnahme der virtuellen Abenteuer macht - also reale Statussymbole als Eintrittskarten zu virtuellen Welten. Daß Virtual Reality wie viele neue Technologien ein gefundenes Fressen für totalitäre Hirne und ihre Ideen ist, wird wohl auch niemand bestreiten (z.B. Konditionierung bestimmter Schichten und Berufsgruppen statt biologisch wie in Huxleys "Schöne Neue Welt" dann in virtuellen "Erziehungswelten"). Aber abgesehen von diesen bizarren Möglichkeiten gibt es ein grundlegendes Unbehagen: Was ist menschliches Erleben, wie verhalten sich Gefühle in der realen Welt zu denen in einer virtuellen, was ist überhaupt ein Mensch in einer virtuellen Welt? Ist Virtual Reality nur eine Steigerung des Fernsehens als Erlebnismedium oder mehr?

Weniger Zukunftsmusik sind Datennetze, deren Funktionsumfang in den nächsten Jahren durch Datenautobahnen (Information Highways) beträchtlich erweitert werden wird. Schon jetzt benutzen viele von uns an Unirechnern das Internet und kommunizieren mit Leuten irgendwo in Europa, auf dem Globus. Die Vorteile von leistungsfähigen Datennetzen liegen auf der Hand: - Errichtung privater Netzwerke zum schnellen Ideenaustausch. - Verbreitung kleiner Aktionen/Initiativen, die über Printmedien nicht verbreitbar sind. - Ermöglichung lokaler Aktionen durch schnelle Information lokaler Haushalte -> Verstärkung lokaler Politik an der Basis. - Zugang zu Nachrichtenagenturen, Archiven und Datenbanken. - Zusammenstellung eigener Zeitungen oder Fernsehprogramme. - "Heimarbeit" im Dienstleistungssektor -> freiere Arbeitseinteilung, unter Umständen mehr Zeit für die Familie. Wie sieht die andere Seite der Medaille aus? Die Flut irrelevanter Nachrichten dürfte noch beträchtlich ansteigen, da die Einspeisung von Nachrichten in das Mediensystem leichter ist als vorher. Auf der anderen Seite kann man so an Informationen gelangen, die im bisherigen System überhaupt keine Reichweite haben. Wie steht es mit der Informationsfreiheit? Datennetze sind keine selbständigen Organismen, sondern werden von Zentralen verwaltet. Zugriffsrechte legen fest, wer wie daran teilnehmen darf. Werden Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten in einem Mediensystem, das im wesentlichen aus Datennetzen anstatt aus den heutigen Massenmedien besteht, erleichtert oder erschwert? Auch hier können wir sicher sein, daß diese Technologie Faszination auf totalitäre Ideologen ausübt. Die Möglichkeiten zur informationellen Subversion durch Hacker (gleich "Infoterroristen") lassen den Aufwand zur Errichtung völlig kontrollierter Datennetze jedoch sinnlos erscheinen, einfacher wäre es, die Leute mit einer Desinformationsflut zuzumüllen, um den demokratischen Meinungsbildungsprozeß zu entschärfen. Interessant ist die Frage, wie sich eine überwiegende Benutzung von Datennetzen auf das politische Verhalten der Menschen auswirken könnte. Die technologisch notwendige Funktion eines Netzverwalters (Superusers), mit dem sich jeder Netzteilnehmer abfinden muß, könnte zu einer wachsenden Akzeptanz für informationelle und politische Hierarchien, für "unsichtbare" Autoritäten führen und die Idee von Demokratie als Partizipation und Machtkontrolle aushöhlen. Ich nenne dies das "Superuser-Syndrom". Das politische System reorganisiert sich analog zum Informationssystem, autoritäre Systeme werden plötzlich von einer ganz anderen Seite aus wieder hoffähig.
Betrachtet man die Rolle, die Netzwerke und Rechner heute in der Wirtschaft spielen, ist die Vertiefung der Kluft zwischen Verwaltung und Produktion bis hin zur Entstehung zwei neuer Arbeitsklassen vorstellbar. Schon jetzt sind Verwaltung und Produktion räumlich, sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch in Stadträumen, und strukturell getrennt. Die Arbeit der Verwalterklasse wird, da produktunabhängig, standardisiert und damit austauschbar. Die Trennung in innerstädtische Verwaltungs- und ausgelagerte Produktionszone könnte sich zu einer Einteilung in Stadtzonen mit unterschiedlicher Zugangsberechtigung entwickeln. Dies ist bereits jetzt in einigen südamerikanischen Metropolen der Fall, z.B. Guatemala City, und geht über die wachsende Ghettoisierung der gesellschaftlichen Gruppen, wie sie sich in den nordamerikanischen Großstädte zeigt, hinaus. Auf diese Weise würde sich die ökonomische und soziale Struktur analog zur Struktur des Informationssystems reorganisieren.




Anhang

Einige Anmerkungen zu Kirch und Berlusconi

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Kirch

Vater und Sohn Kirch verfügen zusammen über zwei Vollprogramme, Sat 1 und Pro 7. Da man nach dem bundesdeutschen Medienrecht eine Firma bzw. Privatperson nur über ein Vollprogramm verfügen darf, betonen sie immer wieder ihre Unabhängigkeit. Dazu zwei Aussagen:
1. Kirch-Sprecher Zmeck: "Thomas Kirch hatte nie eine Position im Unternehmen."
2. Kirch selbst 1987: "Mein Sohn Thomas arbeitet im Unternehmen, ist 29 Jahre alt und wird mein Nachfolger sein."
Woher hatte Thomas Kirch das Kapital, um Pro 7 zu übernehmen? Der Kapitaleinsatz für Pro 7 beträgt 40 Mio. DM jährlich, bei seinem Vater bezog er jedoch offiziell nur ein Angestelltengehalt.
Hinter Kirch steht Otto Beisheim (zurückgezogen lebender Milliardär, dem Kaufhof, Metro und Saturn-Hansa unterstehen; im Krieg Scharführer bei der Waffen- SS, Leibstandarte Adolf Hitler), der ihm 1990 mit einem ominösen Deal aus finanziellen Schwierigkeiten verhalf. Kirch verkaufte 2500 Filme für 530 Mio. an Beisheim, der kurze Zeit später 1200 Filme für 854 Mio. an Pro 7 und 1300 Filme für 756 Mio. an Sat 1 verkaufte, d.h. es flossen 1,08 Mrd. von Kirch an Beisheim. Dabei verließ kein Film je Kirchs Lager. Außer der kurzfristigen Konkursvermeidung scheint eine wichtige Motivation gewesen zu sein, Kirchs Filmanteil bei Pro 7 zu drücken (was aufgrund des Medienrechts notwendig war) sowie die Ausgaben von Pro 7 der Steuer zu entziehen.
Zuletzt ein kurzer Überblick über das Kirch-Imperium: Die Sender, an denen Vater und Sohn Kirch beteiligt sind:
- Sat1 (43 % direkt, 20 % über andere Firmen),
- Deutsches Sportfernsehen - DSF (24,5 % direkt, 24, 9 % über andere Firmen, sowie über ISPR2),
- Pro 7 (47,5 % direkt, Thomas Kirch)
- der Kabelkanal
haben einen Marktanteil von 27 % in Deutschland. Außerdem gehört Premiere (25 % direkt) zur Sendersammlung dazu. Im Sommer 94 hat Kirch auch endgültig die Macht im Springer Verlag übernommen, von dem er seit 93 schon 35 % hielt.

Berlusconi

Bei Berlusconi laufen einige Dinge anders als sonst. Gesetz Nr. 361 vom 30. März 1957 besagt, daß Inhaber wichtiger Staatskonzessionen nicht ins Parlament gewählt werden dürfen. Berlusconi, als Besitzer mehrerer Fernsehsender Inhaber einer solchen Staatskonzession, wurde dieses Jahr ins Parlament gewählt. Daß er überhaupt drei Fernsehsender hat, war lange Zeit nicht legal. Bettino Craxi, sein einstiger politischer Gönner, verschaffte ihm 1984 eine Ausnahmeregelung für den Betrieb von mehr als einem Fernsehsender, die 1992 unter dem Ministerpräsidenten Craxi in einem neuen Mediengesetz festgeschrieben wurde. Außer Craxi gehört(e) zu Berlusconis politischem Hintergrund die berüchtigte Geheimloge P2, 1975 von Licio Gelli (s.o.) gegründet mit dem Ziel einer "demokratischen Wiedergeburt" Italiens. Diese sollte eine "Vereinfachung des Parlaments", eine Militarisierung der öffentlichen Ordnung, die Auflösung der RAI und die Gründung eines privaten Fernsehens als Gegenpol gegen die RAI umfassen. Die P2 wurde 1981 als "staatsgefährdend" aufgelöst.
Das politische System, das Berlusconi verkörpert, hat Peter Glotz als "Telekratie" definiert:
"Die laut- und gewaltlose Herrschaft des Medienverbundes, ein intelligentes Regime von Werbund, Warenhäusern, Fernsehsendern, Verlagen, Versicherungen, Telekommunikationskonzernen und Sport." Zum Schluß ebenfalls ein paar Daten zum Berlusconis Imperium. Dieses umfaßt:

  • Die größte Werbeagentur Italiens, Publitalia.
  • Den größten Buchverlag Italiens, Mondadori.
  • Drei Fernsehsender: Italia 1, Rete Quattro und Canale 5, die 95 % aller Privat-TV- Zuschauer und 45 % aller TV-Zuschauer insgesamt erreichen.
  • Beteiligungen an allen drei Pay-TV's.
  • 16 Zeitungen, darunter Il Giornale aus Mailand.

Thesen zu den Neuen Medien (Lars)

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- Technologie:
Die Entwicklung neuer Technologien (insbesondere die Kombination von Bildschirmtechnologien, globalen Datennetzen, schnelleren Prozessoren, erweiterten Speicherkapazitäten etc. zu multimedialen Erlebniswelten) wird einen drastischen Wandel der Gesellschaft induzieren. Massenkommunikation der heutigen Form wird obsolet.

Menschliche Lebensweisen:
Neue Formen der Kommunikation, Individualisierung bzw. Isolierung werden durch die Anwendung neuer Technologien insbesondere in den Feldern Arbeit (z.B. Tele-, Heimarbeit), des Konsums (interaktives Tele-Shopping) und der Freizeit (z.B. durch Generierung virtueller Welten und deren Verknüpfung mit individuellem Erlebnisempfinden auf visueller, taktiver, auditiver und olfaktorischer Ebene) hervorgerufen.

Macht:
Durch den Einsatz komplexer Technologien steigt die Macht der Medienmacher (Knowledge-Gap) und die Möglichkeit zur Manipulation.

Soziale Struktur:
Die gesellschaftliche Schere weitet sich aus - diejenigen, die mit den neuen Angeboten umgehen können, genießen Informations- und Wissensprivilegien. Dem anderen Teil der Gesellschaft ist ein selektiver und selbstbestimmter Gebrauch verwehrt - eine Deaktivierung und Verarmung des Lebensgefühls können beispielhafte Folgen sein.

Menschliche Verhaltensweisen:
Zwischenmenschliche Beziehungen werden durch die Möglichkeit des Abtauchens in virtuelle Welten in Frage gestellt - die virtuelle Realität kann in ihrer vollkommenen Kombination von Technologien die Bedeutung des realen Lebens auf ein Minimum verringern.

Politische Partizipation:
Durch diese Neuen Medien werden sich breite Bevölkerungsschichten noch mehr von gestalterischen und die Gesellschaft prägenden Aufgaben zurückziehen (Entpolitisierung, Interessenlosigkeit, mangelnde Einsatzbereitschaft).

Kommentare

Internet und Gegensender

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(Niels)

Zwei interessante Punkte blieben kontrovers:
1. Erleichtern oder erschweren die neuen Medien, wie z.B. das Internet, Entwicklungen zu Kontroll- und Überwachungssystemen?
2. Welche Strategie gegen die Dominanz von Medienimperien könnte umsetzbar sein: die Abschaffung der Fernsehwerbung (d.h. alle Sender werden Pay-TV) oder die Gründung eines "Gegensenders"?
Auf den ersten Blick fallen einem die wunderbar subversiven Möglichkeiten, die Datennetze liefern, ein, die Geschichten von Hackern, die das Pentagon anzapfen und lächerlich machen, die Verbreitung von einer solchen Unmenge von Informationen, daß eine lückenlose Kontrolle schon wegen des technischen und personellen Aufwandes unmöglich erscheint. Ich glaube jedoch, daß wir uns etwas vormachen, wenn wir diese Medien deshalb für "technologische Stützen" einer demokratischen Gesellschaft halten. Im Zeitalter der steigenden Infomationsflut heißen die neuen Waffen Desinformation und Irrelevanz. Kontrolle verliert an Bedeutung, wenn potentielle Unruhestifter und Querdenker auch anders in Schach gehalten werden können. Was nützt es, wenn ich meine Meinung verbreiten darf, sie aber in einem Chor anschwellender Dissonanz nicht mehr vernommen werden kann? Zu jeder Mitteilung können Dementis und Alternativversionen verbreitet werden, so daß Authentizität immer schwerer überprüfbar wird. Wichtige Informationen und Daten können nach wie vor in Archiven unter Verschluß gehalten oder dem Zugriff entzogen werden, das wird auch im Internet nicht anders sein. Neue Medien bieten neue Methoden für faschistische Tendenzen, wir aber sind so auf die Überwachungsmethoden der bisherigen Faschismen angespitzt, daß wir womöglich angestrengt in die falsche Richtungen spähen, während sich hinter unserem Rücken einiges zusammenbraut. Die neuen Medien erschweren per se das Aufkeimen eventueller antidemokratischer Strukturen mit Sicherheit nicht.
In diesem Zusammenhang fällt mir der Film "Brazil" ein, der mit einem unglaublichen Sarkasmus ein System entwirft, das zuallererst "funktioniert" und jegliche Behinderung des reibungslosen Funktionierens brutal verfolgt, und zwar ohne irgendeine ideologische Fundierung. Es gibt keine staatstragende Ideologie, wie wir sie von den totalitären Systemen dieses Jahrhunderts kennen. Wer aus der Reihe fällt oder nur unabsichtlich Unordnung verbreitet, macht sich terroristischer Absichten verdächtig. Ich will nun nicht behaupten, daß wir uns unaufhaltsam dorthin entwickeln in den westlichen Industriestaaten, aber Tendenzen sind durchaus erkennbar. Produktion und Konsum müssen Jahr für Jahr wachsen, Störungen und Rückschläge können dabei nicht geduldet werden. Das hat dann die scheinbar paradoxe Folge, daß Asylbewerber, die vor Terror fliehen, genauso wie Neonazis, die Terror verbreiten, zu unerwünschten Personen werden, die einen weil sie angeblich den Staatshaushalt belasten und die organisierte Kriminalität mit sich bringen, die anderen weil sie den Ruf des Produktionsstandortes schädigen. Um mehr geht es nicht, von Verletzungen der Menschenwürde und -rechte sprechen offizielle Stellen nur selten. Die Bevölkerung wird unterdes tagtäglich mit Werbung, Seifenopern und Game shows bombardiert, die die nötigen Konsumreflexe erzeugen. Kritiker werden pauschal zu neidschürenden Stänkerern erklärt, selbst wenn es sich nicht um Sensationsjournalisten handelt.
An dieser Stelle schließt sich die zweite Frage an. Könnte die permanente Manipulation zum Konsum durch das Fernsehen dadurch aufgebrochen werden, daß Fernsehwerbung verboten wird? Abgesehen von den Schwierigkeiten, solch ein Verbot gegen den Widerstand der Wirtschaft durchzusetzen, halte ich diese Idee für bescheuert. Solange die Auswirkungen von Fernsehwerbung nicht erforscht sind, gibt es keine stichhaltigen Gründe, nur diese Form der Werbung, die ja auch über die Meinungsfreiheit gedeckt sein müßte, zu verbieten. Natürlich ist es vorstellbar, daß Fernsehwerbung eine unterschätzte bzw. bewußt verharmloste Wirkung hat, selbst wenn viele Zuschauer von den Werbeblöcken genervt sind oder das Fernsehen nur wie ein Radio nebenher laufen lassen. Ich glaube aber, daß die Werbung nur ein Bestandteil der Manipulation ist, daß die Programme "zwischen den Werbeblöcken" genauso wenig neutral sind. Da ist zum einen die Entwicklung, die Neil Postman treffend in "Wir amüsieren uns zu Tode" beschrieb, daß alle Arten von Sendungen auf Entertainment-Format getrimmt werden (z.B. Infotainment, ein mittlerweile feststehender Begriff). Zum anderen sollten wir nicht die Klischees und Simpelweltbilder unterschätzen, die in Serien, Game shows und B-Filmen transportiert werden. Das Fehlen von Werbung, das Fernsehsender zwänge, ihre Programme als Pay-TV wie Zeitungen zu verkaufen, würde eine noch gnadenlosere Schlacht um Quoten mit sich bringen. Gewonnen wäre nicht viel, da sich dadurch die Qualität der Programme noch nicht ändern würde. Schließlich schauen die Leute bestimmte Sender ja wegen des Programms und nicht wegen der tollen Werbeblöcke.
Deshalb halte ich die Idee eines "Gegensenders" für wesentlich angemessener und faszinierender. Wie müßte ein kritisches, aber nicht trockenes Programm aussehen, das Sachen bringt, die andere nicht (mehr) zeigen? Eine Mischung aus taz, Greenpeace, Freitag, Titanic... als Fernsehprogramm? Wäre überhaupt irgendeine Finanzierung eines solchen Senders vorstellbar, möglicherweise mit Werbung der "anderen Seite", also von alternativen Firmen, Konzernen, wie es die taz mittlerweile macht? Ein Verbot von Fernsehwerbung käme für mich einer Kapitulation gleich, während ein "Gegensender" hieße, den Kampf gegen die Verkrustung und Manipulation aktiv aufzunehmen. Ritschis Kommentar Die Medien, vor allem die schnellen Medien sorgen ununterbrochen für Spannung, Abwechslung, Kurzweil etc. Das Fernsehprogramm als Beispiel ist so vielfältig, daß es nicht schwer fällt, etwas Lustiges zu sehen, wann immer ich will, etwas Schnulziges und so weiter. Und es ist leicht, an das Gewollte heranzukommen, und billig. Der Mensch ist von Natur aus bequem, und auf diesem Nährboden bauen die Medien ihre Macht über den Menschen auf, und sofern schon geschehen, aus. Computer, die Wunder-Speicher-Maschinen, versorgen uns mit einer Flut von Daten. Daten, die nicht mehr zu verwalten sind, ohne noch mehr noch unübersichtlichere Daten herzustellen. Die Vernetzung trägt ihren Teil dazu bei, auch wenn fairerweise gesagt werden muß, daß schnell kommuniziert und Informationen ausgetauscht werden können. Dennoch, das Überangebot an Daten führt nicht zu besseren Informationen, sondern zu unsinnigeren. Der Zweck der immer neuen Daten ist ihr Selbsterhaltungstrieb.
Es stürmt - so kommt es mir häufig vor - eine Flutwelle auf uns zu, in der wir nur untergehen können, eine Flutwelle von Bildern, Unterhaltung und Daten. Dagegen kann ich mich nur wehren, indem ich versuche einen kritischen Abstand zu ihr (der Flutwelle) zu halten. Was mehr und mehr verloren geht, ist der Abstand zu diesem System. Dabei wird das Mitmachen nur vorgespielt. Aber man kommt sich vor, als sei man dabei, als lebe man dort in den Bildern. Der Abstand, den es eigentlich von Natur aus gibt, wird verwischt und Virtual Reality wird das seinige dazu beitragen, sicherlich.
Aus dieser Tendenz läßt es sich erklären, daß immer mehr Menschen an der Wirklichkeit kein Inter-esse finden können. Einen lustigen Film über die Wahl eines fiktiven Präsidenten zu schauen ist inter-essanter, als einer politischen Debatte zu folgen. Und es wird umso uninteressanter, je mehr man das Filmerlebnis auch in der Diskussion erwartet. Und genau das ist gewollt, um herrschen zu können. Was kann man, was können wir dagegen tun?
Pay-TV und das Problem Europa, ich denke, daß sich ein Konsens diesbezüglich "genauso leicht" in Europa wie in Deutschland finden läßt! Regelungen über Gesetze Inwiefern Medienrecht vorhanden ist, aber nicht durchgesetzt wird, kann ich nicht beurteilen. Verwunderlich auf den ersten Blick ist Kirchs Film-Monopol, rechtlich eigentlich nicht möglich, aber wenn man etwas nicht unterdrücken will, dann sind selbst Monopole durchsetzbar. Ich erinnere nur an Daimler und MBB. Ansonsten ist das Recht ein untaugliches Mittel, um Ziele zu erreichen, über die in der Bevölkerung kein Konsens besteht. Es wäre nicht durchsetzbar, es sei denn wir etablieren eine Monarchie. Eine unabhängige, unbestechliche Kontrollebene aufzubauen, wäre ein Ansatzpunkt. Dabei ist aber auch hier Europa einzubeziehen und wie gesagt, unbestechlich sollte sie schon sein. Freie Medienmärkte halte ich für einen ganz guten Ansatzpunkt. Allerdings wird dadurch nicht die Bequemlichkeit der Konsumenten ausgeschaltet. Und auch der Gegensender - ich halte auch ihn für einen recht guten Ansatzpunkt - verlangt, daß bereits eine Kritikbereitschaft in der Bevölkerung vorhanden ist, sonst - ZAP! Ich meine, der Ansatzpunkt muß in der kritischen Erziehung gegenüber dem Mediensystem liegen. Den schwarzen Peter schiebe ich den Schulen und der Familie zu und allen anderen Erziehungssituationen. Aber auch der Politik, die nicht wirklich bereit ist, bei der breiten Masse Interesse für ihre Taten zu wecken. "Lieber sollen sich die Konsumenten einlullen lassen, wir mauscheln weiter."
Es gilt die Bequemlichkeit zu überwinden. wie bereits gesagt, stellt die Bequemlichkeit ein Grundelement dar, das vom Kapitalismus ausgenutzt wird und gleichzeitig als Rechtfertigung dient. Dieser Bequemlichkeitsdrang zieht sich durch die ganze Bevölkerung. Dort, wo wir etwas Unbequemes umgehen können, tun wir es. Vielleicht müssen wir erst mal wieder erfahren, wie befriedigend es ist, etwas "Unbequemes" überwunden zu haben, um überhaupt einen Willen gegen die Bequemlichkeit entwickeln zu können.
Ein Buch lesen statt fernzusehen, Fahrrad fahren anstatt Auto oder Bus, etc. Ich denke, auf diesem Feld können und sollten wir auch ansetzen, wie üblich durch Vorbildfunktion und Diskussionen. Einen stürmischen Wandel können wir nicht mehr erwarten, aber dafür wird es ja die Revolution geben.

1Interview in der WOCHE 30/94 vom 28.7.94 2Firma zur Vermarktung von Sportübertragungen, 50 % Springer und 50 % Kirch.



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© 1997 Niels Boeing