galaxien-sufismus
Niels Boeing, Hamburg, Oktober 2001

Islam und moderne Naturwissenschaft passen gut zusammen. Sagt der französische Astrophysiker Bruno Guiderdoni, der mit 28 Jahren zum Islam konvertierte. Eine ausführlichere Darlegung bietet sein Bostoner Vortrag vom September 2001 (englisch)

Der Westen wird von nun an viel dazulernen müssen. Dass Religion und Wissenschaft vielleicht doch etwas gemeinsam haben könnten, ruft zwar seit längerem nicht mehr unbedingt vehementes Kopfschütteln hervor. Aber Islam und Wissenschaft? Niemals. Niemals? "Ich fühle mich sehr wohl als Muslim und Wissenschaftler, denn der Koran legt großen Wert auf die Suche nach Erkenntnis", sagt Bruno Guiderdoni (43), Astrophysiker aus Paris und im Alter von 28 Jahren zum Islam übergetreten.

In einem weltlichen französischen Elternhaus aufgewachsen, verspürte der konfessionslose Guiderdoni als junger Erwachsener ein wachsendes "Bedürfnis nach Spiritualität". Die fand er nach Reisen durch Nordafrika schließlich im Sufismus, jenem mystischen Zweig des Islam, der sich der Suche nach Erkenntnis verschrieben hat. In ihm gilt schon Erkenntnis an sich als Weg zu Gott.

Diese Haltung teilt der Sufismus mit den fernöstlichen Religionen, die westliche Naturwissenschaftler seit Jahren zunehmend faszinieren. So wurde etwa Frithjof Capras "Tao der Physik", in dem Parallelen zwischen Quantenmechanik und Taoismus, Hinduismus sowie Buddhismus untersucht werden, ein Bestseller der populärwissenschaftlichen Literatur.

Den Islam sieht Bruno Guiderdoni, der sich seit seinem Bekenntnis zum Islam auch Abdal Haqq ("Diener der Wahrheit") nennt, deshalb eher zwischen den östlichen und den westlichen Religionen angesiedelt als nur in der Tradition von Christentum und Judentum. Der Sufismus sei aber von der heutigen Auseinandersetzung zwischen Modernisten und Fundamentalisten im Islam in den Hintergrund gedrängt worden. Und mit ihm auch dessen religiös motiviertes Interesse an wissenschaftlicher Erkenntnis.

Das muss Guiderdoni, anders als ein christlicher Naturwissenschaftler, nicht außen vor lassen, wenn er das Institut betritt und sich etwa an die Berechnung der Galaxien-Evolution macht. Er vollzieht nicht den Spagat zwischen rationaler, sezierender Wissenschaft und integrierendem Glauben, der den Westen seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts prägt - und auch plagt.

Guiderdoni verweist etwa auf Koran-Verse, die die "Aufmerksamkeit auf den mathematischen Aspekt kosmischer Gesetzmäßigkeiten" lenken. So heißt es etwa im 96. Vers der sechsten Sure: "... und bestimmt hat er die Nacht zur Ruhe und Sonne und Mond zur Berechnung. Das ist die Anordnung des Wissenden."

Anders als das Christentum und die moderne Naturwissenschaft sieht der sufische Islam in Gott keinen "Uhrmacher", der das Weltgetriebe im Schöpfungsakt - in der Sprache der Physiker: im Urknall - in Gang setzt und sich dann selbst entwickeln lässt. "Gott hört nicht auf, die Welt zu erschaffen. Er ist nie erschöpft", betont Guiderdoni. Indem der Mensch versuche diese Welt zu verstehen, nähere er sich auch dem unendlichen Gott.

Das hat eine wichtige Konsequenz: "Die Erkenntnissuche ist nie zu Ende - nicht in der Religion und auch nicht in der Wissenschaft", so Guiderdoni. In dieser gemeinsamen Endlosigkeit entdeckt er die Versöhnung zwischen Wissenschaft und Religion. Beide stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern sind Teil ein und derselben Annäherung an Gott.

"Ich sehe dagegen keine Versöhnung darin, dass die Religion versucht wissenschaftlicher zu werden oder dass die Wissenschaft sich dahingehend wandelt, eines Tages doch die Existenz Gottes beweisen zu können." Eine klare Absage an die "Weltformel", der zahlreiche Physiker, allen voran der zur Pop-Ikone mutierte Stephen Hawking, nachjagen.

Das Bedürfnis, eine Weltformel zu finden, liegt in der selbst gewählten Aufgabe der modernen Naturwissenschaft, für alle Phänomene in der Welt so genannte Wirkursachen zu finden. Das gelingt seit Jahrhunderten in bewundernswerter Weise. Heute ist uns beispielsweise klar, dass ein Vulkanausbruch geophysikalischen Gesetzen folgt und keiner göttlichen Laune.

Woher aber stammen die geophysikalischen Gesetze? Sie sind wiederum aus grundlegenderen Naturgesetzen zu erklären. Aber warum gibt es diese? Was ist ihr Zweck? "Die moderne Kosmologie ist aus dem Bestreben entstanden, Zweckursachen in der Wissenschaft zu vermeiden und alles auf Wirkursachen zurückzuführen", sagt Guiderdoni.

Doch im 20. Jahrhundert hat sie Entdeckungen gemacht, an denen sie sich bislang die Zähne ausbeißt. Zum Beispiel das Problem der Anfangsbedingungen des Universums. Dass die Welt so ist, wie wir sie heute vorfinden, liegt daran, dass einige Naturkonstanten wie die Elementarladung eines Elektrons genau den bekannten Wert haben. Würden sie nur an irgendeiner Stelle hinter dem Komma abweichen, hätten sich vielleicht überhaupt keine Sterne gebildet. Warum haben sie diese Werte?

Dass die Wissenschaft dieses Loch der Erkenntnis nur genauer vermessen kann, ohne eine letzte Antwort zu geben, hält Guiderdoni für "eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts". Sie überrascht ihn aber nicht. Denn eine letzte Antwort wäre das Ende der Erkenntnis - was unmöglich ist, "weil Gott unendlich ist".

Guiderdonis Bostoner Vortrag vom September 2001 (englisch)

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