das lustvolle scheitern am kapitalismus
Niels Boeing, Berlin, Juli 1998

Kunst kann als Element der Politik keinen Bestand haben. Kaum ist sie erfolgreich, läuft sie sich tot, gefangen in der allumfassenden Kommerzialisierung. Dies ist die schlimmste Waffe des Kapitalismus: Jede Kritik wird als Trend zur Ware und damit unschädlich. Kunst ist als Ware lächerlich, ohne jede Sprengkraft. Wer glaubt, gerade im Warencharakter sei Kunst subversiv, träumt.

Denn das System wird dadurch nicht unterminiert, sondern zum x-ten Male bestätigt. Das war so mit Pop-Art, setzte sich mit Punk fort und endete vorläufig beim Hip Hop, der zur Kaufhausweichspülerei verkommen ist.

Kunst kann nichts lehren. Hört auf, Botschaften in Kunstwerke legen zu wollen, die pädagogische Kraft hätten. Darum geht es bei Kunst nicht. Und wer glaubt, mit Kunst noch provozieren zu können, ist bescheuert. Schaut euch Schlingensief an. Er ist im wahrlich baden gegangen, und jetzt ist er frustriert. Das Problem solcher Ansätze ist, daß sie über Kunst Macht erlangen wollen.

Genau das ist nicht möglich. Denn Kunst ist nur hier und jetzt, trifft sich ständig wandelnde Aussagen, die eine Assoziation beim Rezipienten auslösen können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese punktuellen Aussagen können eine unglaublich verstörende Kraft haben. Das kann eine Provokation sein, so wie die Benetton-Plakate von 1993, aber auch eine zunächst ästhetische Idee wie Christos Reichstagsverhüllung. Sie ist ein hervorragendes Beispiel, wie Kunst einen politischen Diskurs überhaupt erst anstößt. In der Bundestagsdebatte um die Reichstagsverhüllung wurde wild über nationale Symbole und Identität gestritten.

Christos Werk zeigt auch, daß Kunst nicht Teil der Debatte sein kann: weil sie nicht diskursiv funktioniert. Sie ist weder analytisch noch argumentiert sie, sondern erzeugt eine Situation oder ein Bild in den Köpfen, das Assoziationen auslöst, Denkvorgänge.

Um diese Kraft zu entfalten, muß Kunst aber groß sein und von vielen Menschen wahrgenommen werden, wie bei Benetton oder Christo. Die kleine Kunst gleicht allenfalls dem Flügelschlag des Schmetterlings in der Chaostheorie, der spätere Stürme auslöst. Denn Kunst ist nur eine Kommunikationsform, jedenfalls heute. Es geht nicht mehr um das Werk. Um viele Leute zu erreichen, muß Kunst aber unweigerlich die Strippen des Kapitalismus ziehen, also Geld auftreiben. Aus dieser paradoxen Situation gibt es keinen Ausweg. Deshalb muß Kunst zuletzt immer scheitern, doch welch lustvolles Scheitern kann das sein.

Bleibt die Frage: Wie würde Politik aussehen, wenn sie als Kunst praktiziert wird, also nicht diskursiv? Ist das möglich, ist es wünschenswert?

 

 

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© 1998 Boeing/Stahrenberg