paul vs. artur
Martin Roddewig, Berlin

Paul: Hast Du die Laudatio gelesen, die Günter Grass neulich auf Yasar Kemal gehalten hat, als diesem der Friedenspreises des Buchhandels verliehen worden ist? Wann hat ein deutscher Schriftsteller in den letzten Jahren so viele Menschen für ein politisches Thema wie hier die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei interessieren können?

Artur: Nein, hab´ ich nicht gelesen. Grass hat doch von der Türkei genauso wenig Ahnung wie von türkischer Literatur.

Paul: Aber Kemal kennt sein Land wohl. Und er ist ein anerkannter Literat. Er hat viel gegen die Gewalt des Militärs und die Folter in seinem Land geschrieben und einiges bewirken können.

Artur: Wirklich? Was hat er bewirkt? Traurig genug, daß Künstler sich politisch betätigen, das kann man kaum verhindern. Aber daß sie ihr künstlerisches Tun auf politische Wirksamkeit hin ausrichten - das könnte man ihnen ausreden. Grass und Kemal sollten besser wieder einmal einen großen Roman schreiben.

Paul: Der Künstler als Künstler und sonst nichts? Was spricht dagegen, daß sich Kunst in die Politik einmischt? Zumal in einer Situation wie der in der heutigen Türkei?

Artur: Nein, ich wehre mich gegen die Tendenz, politische Wirksamkeit als ein Kriterium für Kunst heranzuziehen. Ein Kunstwerk schafft sich seine eigenen Maßstäbe, oder es bezieht sich auf andere Kunstwerke und deren ästhetische Prämissen. Der Versuch, gesellschaftlichen Widerhall zu finden, geht meist einher mit Vergröberung und Plakatisierung...

Paul: Aber Kunst hat die Möglichkeiten, sinnvoll in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Kunst kann Mißstände aufdecken und mit einer spezifisch künstlerischen Sichtweise Menschen mobilisieren, die anders nicht auf diese Mißstände aufmerksam geworden wären. Kunst kann Aspekte beleuchten, die im öffentlichen Diskurs keinen Platz haben. Beispiele gibt es in Hülle und Fülle: George Orwells Beschreibung des totalitären Staates. Oder Picassos Guernica. Costa Gavras hat in seinen Filmen Millionen die Brutalität der Militärjuntas in der Dritten Welt vor Augen geführt. Oder denk´ von mir aus an Hip Hop...

Artur: Ich glaube, Du schätzt die Künstler, weil sie deine politische Meinung teilen. Aber was, wenn nicht? Ich bin die vielen unseligen Kunsthappenings leid, wo man sich sagte, immerhin, der Künstler ist einer von uns -

Paul: Dein Kunstverständnis stammt doch aus dem letzten Jahrhundert...

 

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