hartzsche visionen
Ulrike Heike Müller, Berlin, Juli 2002

Schröder, der alte Fuchs, hat 3 Monate vor der Wahl seinen Joker aus dem Ärmel gezogen: die Vorschläge der Hartz-Kommission zur drastischen Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Wie sehen die Zutaten zum Jobwunder aus? Und was sagen Experten dazu?

Kann sich noch jemand erinnern wie es ist, in einem Land zu leben, in dem Vollbeschäftigung herrscht? In dem sich Arbeitgeber etwas einfallen lassen müssen, um die Menschen in ihrem Betrieb zu locken? Unendlich lang her sind solche Zeiten in der alten Bundesrepublik. Für die Ostdeutschen ist Kapitalismus ohnehin ein Synonym für Jobkatastrophe. Da kommt ein gewisser Peter Hartz, nimmt sich auf Geheiß von ganz oben des Problems an und glaubt nach ein paar Wochen Ackern die Lösung gefunden zu haben. Bis Ende 2005 will er die Arbeitslosigkeit in Deutschland halbieren. Der Typ muss größenwahnsinnig sein, denken viele, die Ahnung von Wirtschaft haben und von diesem Plan das erste Mal hören.

Wer ist dieser Superman? Sohn eines Hüttenarbeiters, Vertrauter von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Vorsitzender der nach ihm benannten Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes und Personalvorstand bei Volkswagen (VW). Für die Wolfsburger Autobauer hat Hartz die Vier-Tage-Woche eingeführt: Für 20 Prozent weniger Arbeit bekommen sie 20 Prozent weniger Lohn. Auf das Konto des 60-Jährigen geht auch das Modell „5000 mal 5000“. Für die Produktion eines neuen Golfs wurden 5000 neue Arbeiter zum Monatslohn von 5000 Mark eingestellt – außerhalb des gültigen Haustarifvertrages. Hartz‘ Kalkül bei diesen Maßnahmen: Hauptsache, die Leute werden nicht entlassen beziehungsweise VW lässt seine Autos nicht im Ausland zusammen schrauben.

Peter Hartz ist für Gerhard Schröder so etwas wie ein Aladin aus der Wunderlampe. Auf märchenhafte Weise sollen seine Vorschläge das Ruder noch herum reißen und ihm zur Bundestagswahl am 22. September als Kanzler aller Deutschen im Amt bestätigen. Das hat Schröder gut eingefädelt. Noch zwei Wochen vor Bekanntwerden der ersten Hartz-Vorschläge behauptete er steif und fest, vor dem 16. August, der offiziellen Präsentation der Ergebnisse, gelange kein Detail an die Öffentlichkeit. Gesagt, vergessen. Aus taktischen Gründen macht es sich nämlich viel besser, schon mal einige Testballons zu starten. Schröder lehnt sich derweil zurück, sagt selbst kein Wort zum vorzeitig lancierten Grobriss außer dass die Richtung stimme - und studiert in aller Ruhe, wie Gewerkschaften, Parteien und Arbeitgebervertreter reagieren.

Die CDU hat viele Meinungen. Von „revolutionären Ideen“ schwärmt Stoibers Schattenwirtschaftsminister Lothar Späth., Horst Seehofer schimpft hingegen über die „sozialpolitische Wilderei“ und für den Unionsfraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ist das Ganze nichts als „ein riesengroßer Bluff und eine Wahlkampfshow“. Die Kanzlerpartei und die Grünen signalisieren ihre grundsätzliche Zustimmung zu Hartz‘ Vorschlägen. Die Gewerkschaften schließlich finden manches gut, manches schlecht (vor allem Abstriche beim Arbeitslosengeld) - und haben Gesprächsbedarf angemeldet, um strittige Punkte zu klären. Bereits am 5. Julit traf sich der Kanzler mit führenden Gewerkschaftern, um ihre Kompromissbereitschaft auszuloten. Doch erst nach dem 16. August will er sich zu Einzelpunkten des Hartz-Papiers äußern. Das Ganze ist ein Lehrstück, wie Politik funktioniert.

13 Module gegen die Job-Katastrophe

Wie sieht der Weg aus der Misere konkret aus, den die Hartz-Kommission weist? Nachzulesen ist er in einem angeblich streng vertraulichen 30-Seiten-Papier vom 21. Juni, das inzwischen in allen Redaktionsstuben angekommen ist und selbst im Internet (http://www.labourcom.uni-bremen.de/~jsteffen/sozialpolitik) kursiert. Hartz‘ Mitstreiter haben 13 so genannte Module zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Reform der schwerfälligen Bundesanstalt für Arbeit (BfA) mit ihren 90.000 Mitarbeitern zusammen getragen. Von familienfreundlicher „Quick-Vermittlung“ ist die Rede, vom „Profiling“ aller Arbeitslosen, die Kunden genannt werden, von „JobCenters“, „PersonalService-Agenturen“ (PSA) als „Business-Units“, von der „Ich-AG“ und von „Benchmarks“. Uff.

Hinter der albernen Marketingsprache verbergen sich Konzepte, die es in sich haben. Die „Quick-Vermittlung“ beispielsweise beinhaltet, dass Arbeitslose sich sofort nach ihrer Kündigung beim Arbeitsamt melden und nicht erst mit dem Beginn der tatsächlichen Arbeitslosigkeit. Die Vermittlung auf eine neue Stelle könnte dann bereits während der Kündigungsfrist beginnen. Familienväter und Alleinerziehende sollen bevorzugt vermittelt werden. Dafür sollen junge, alleinstehende Arbeitslose einen Job annehmen, egal wo. In Kombination mit einer intensiveren Betreuung will Hartz so die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von 33 Wochen bis zum Jahr 2005 auf 22 Wochen zu reduzieren. Macht 450.000 Menschen weniger in der Arbeitslosenstatistik und eine Einsparung von 26,8 Milliarden Euro. „Vorsichtig gerechnet“, sagt Hartz.

Um auf solche Ideen zu kommen, haben die 15 Kommissionsmitglieder – namhafte Unternehmensberater, Manager, Wissenschaftler, Politiker und Gewerkschafter; ein Arbeitslosenvertreter war nicht mit von der Partie – unzählige Studien ausgeschlachtet, Schwarzarbeiter befragt und sich in anderen EU-Ländern umgeschaut. Von illegal Arbeitenden erfuhren sie, dass diese ihr Arbeitsverhältnis legalisieren würden, wenn der Staat bei den Steuern nicht so kräftig zulangen würde. In Großbritannien überzeugten sie sich, wie die vor drei Monaten begonnene Zusammenlegung von Arbeits- und Sozialämtern in der Praxis funktioniert. Beispielsweise begleiten floor walker die Arbeitslosen zu den Beratern. Und beim niederländischen Nachbarn studierten die Experten eine Arbeitsvermittlung, die inzwischen komplett privatisiert ist.

Im Polderland gibt es auch deshalb weniger Arbeitslose als in Deutschland, weil sich viele als Zeitarbeiter verdingen. Herzstück der Hartz-Reform ist denn auch der Ausbau der Zeitarbeit. 780.000 zusätzliche Arbeitsplätze sollen so entstehen. Zeitarbeitsfirmen, stellt sich Hartz vor, übernehmen 280.000 Arbeitslose. Dafür soll das Verbot kürzerer Kündigungsfristen bei einer Beschäftigungsdauer bis zu drei Monaten entfallen und Leiharbeit auch im Bauhauptgewerbe erlaubt werden. Den Großteil der neuen Stellen, eine halbe Million, sollten neue „PersonalService-Agenturen“ (PSA) vermitteln, in denen die Arbeitsämter ihre Vermittlungsaktivitäten bündeln. „Faktisch führt die verstärkte Einschaltung von Zeitarbeitsfirmen und PSA’s aus Sicht der Unternehmen zu einer Neutralisierung des Kündigungsschutzes“, heizt es im Hartz-Papier, „die Beschäftigten selber haben aber in den Zeitarbeitsfirmen und PSA’s den vollen rechtlichen Kündigungsschutz.“

Arbeits- und Sozialämter sollen zu „JobCentern“ fusionieren, Arbeitslosengeld und -hilfe sowie Sozialhilfe in einem gestuften System zusammen geführt werden. In den ersten sechs Monaten erhielten Arbeitslose eine Pauschale, die folgenden sechs Monate genau berechnetes Arbeitslosengeld. Anschließend gibt es keine Arbeitslosenhilfe mehr, sondern ein reduziertes Arbeitslosengeld. Ab dem 25. Monat wird jedem ein Sozialgeld bezahlt, das der heutigen Sozialhilfe entspricht. Ausnahme: Ältere Menschen ab dem 55. Lebensjahr erhielten bis zum 60. weiterhin das reduzierte Arbeitslosengeld.

Reaktionen auf Vorschläge

Für Gert Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin ist eine Fusion von Arbeits- und Sozialämtern vorteilhaft: „Die Sozialämter haben für Langzeitarbeitslose viel mehr Instrumente, sie sind einfach näher dran. Bei den Betroffenen geht es oft nicht nur um einen neuen Job, sondern auch um eine Entschuldung oder Kinderbetreuung.“ Die Ergebnisse eines bundesweiten Pilotprojektes in Köln geben ihm Recht. Dort sank die Langzeitarbeitslosigkeit um 12,1 Prozent; in ganz Westdeutschland waren es nur 2,6 Prozent.

Die Pauschalierung des Arbeitslosengeldes in der Anfangsphase findet Thea Dückert richtig. „Das Thema wird schief diskutiert“, sagt die grüne Arbeitsmarktexpertin, „Es geht nicht um eine Leistungskürzung. Natürlich haben Arbeitslose Anspruch auf eine beitragsadäquate Leistung.“ Ein BfA-Angestellter verbringt heute 40 bis 60 Prozent seiner Zeit mit der Berechnung der Bezüge von neuen Arbeitslosen anstatt sich intensiv um deren Vermittlung zu kümmern.

Dückert kritisiert das angedachte „Bridgesystem“, wonach Arbeitslosen ab 55 Jahren bis zur Frührente ab 60 das reduzierte Arbeitslosengeld erhalten: „Dieser Umgang mit Älteren widerspricht der Strategie, sie zu integrieren statt auszugrenzen. Wir müssen Schluss machen mit der Frühverrentung und eine Kultur der Altersarbeit entwickeln.“ Dabei übersieht Dückert, dass die Reformer das „Bridgesystem“ an die demografische Entwicklung anpassen wollen, zum Beispiel durch die jährliche Erhöhung des Einstiegsalters um ein Jahr.

Wird Hartz‘ Vorschlag zum Sozialgeld Realität, brechen für Langzeitarbeitslose zwischen 45 und 55 Jahren rauhe Zeiten an. Während sie bislang einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben, würden sie nach zwei Jahren zu Sozialgeldempfängern degradiert. Damit müssten sie jede Arbeit annehmen, auch gemeinnützige für 1,50 Euro pro Stunde. Bislang zahlen die Sozialämter für Stützebezieher auch keine Rentenbeiträge.

Hartz hat sich auch etwas für Schwarzarbeiter ausgedacht. Rechnet man die schwarz geleisteten Arbeitsstunden auf Beschäftigte um, gibt es in Deutschland etwa fünf Millionen Vollzeitschwarzarbeiter. Rund 40 Prozent davon will Hartz bis zum Jahr 2005 aus der Illegalität holen – macht eine halbe Million Arbeitslose weniger. Mit der „Ich-AG“ soll eine neue, bürokratisch entrümpelte Selbständigkeit eingeführt werden. Mit Mindeststandards für Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie einer 10-prozentigen Pauschalsteuer auf alle Einnahmen. Die dürfen 15.000 Euro im Jahr nicht überschreiten. Das Konzept ist gut durchdacht. Allerdings muss jedem klar sein, dass damit ein Niedriglohnsektor durch die Hintertür eingeführt würde.

Mit seinen Vorschlägen hat Hartz den Geschmack von Florian Gerster getroffen. „Das Ziel von Peter Hartz ist atemberaubend“, sagt der neue BfA-Chef. Bei seinem Amtsantritt verkündete er, dass er die Behörde in einen „Dienstleister mit privatwirtschaftlichen Führungsstrukturen“ umbauen wolle. Diese Vision ist auch Hartz‘ Vision. Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Reicht eine Strukturreform wie diese, damit Millionen neue Arbeitsplätze entstehen? Letztlich falle die ja nicht vom Himmel. Vor allem im Osten sind die noch immer Mangelware.e --

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