keiner wird gewinnen
Robert von Heusinger, Frankfurt, Juni 2003

Über die neue "Härte" des Euro können sich nur Weltreisende freuen und solche, die keine Ahnung von Ökonomie haben. Tatsächlich zeigt sie nur, wie tief die US-Wirtschaft in der Scheiße steckt, und mit ihr der Rest der Welt. Nur eins ist noch schlimmer: die Planlosigkeit der Europäer, die keine Vorstellung haben, wie das neue Weltwirtschaftssystem eigentlich aussehen soll.

"Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem." Nach dieser Maxime haben amerikanische Politiker und Zentralbankchefs in den vergangenen 70 Jahren mal mehr, mal weniger offen Wirtschaftspolitik betrieben. Sie sind gut damit gefahren. Angesichts des rapiden Wertverlustes des Dollar gegenüber dem Euro – fast 40 Prozent binnen 16 Monaten – scheint das auch diesmal zu gelten.

Die Amerikaner brauchen einen niedrigeren Wechselkurs, damit ihre Exportwaren für Ausländer billiger werden und die ausländischen Produkte in den USA teurer. Nur so lässt sich das immense Handelsdefizit abbauen, nur so kommt die Konjunktur wieder in Gang, nur so kann die Gefahr der Deflation verringert werden. Aber nur in Amerika. Für die deutsche Wirtschaft ist der starke Euro dagegen Gift: Der Export, die letzte Stütze des hiesigen Wirtschaftswachstums, droht wegzubrechen, die Konjunktur wird weiter geschwächt, und das Schreckensszenario von fallenden Preisen, schwacher Konsumnachfrage und bankrotten Unternehmen wird wahrscheinlicher.

Nur unser Problem? Nicht mehr lange.

Denn gleichzeitig geschieht etwas Neues: Dem Dollar erwächst eine echte Konkurrenz. Deutsche Unternehmer berechnen mehr Handelsgeschäfte in Euro statt wie bisher in der international führenden Währung, dem Dollar. Selbst im Ölgeschäft, bisher reine Dollar-Sache, gibt es erste Anzeichen verschmähter Liebe. Die Erdöl produzierenden Länder wollen gern in der neuen Währung abrechnen. Und auf den Straßen Moskaus kommt es bereits vor, dass weder Rubel noch Dollar akzeptiert werden. Sondern nur noch Euro.

Schon vor Jahren haben die Zentralbanken dieser Welt begonnen, ihre Reserven zu diversifizieren. Waren auf einen Euro in den Reserven Anfang 1999 noch 5,8 Dollar gekommen, seien es drei Jahre später nur noch 4,6 Dollar gewesen, hat unlängst die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs berechnet.

Wichtige Teile des Kapitalmarktes hat der Euro schon eingenommen. So wurden im Mai am internationalen Anleihemarkt 55 Prozent der Mittel in Euro aufgenommen und nur 35 Prozent in Dollar. Der Euro wird allmählich ebenbürtig. Als die Gemeinschaftswährung vergangene Woche ihren bisherigen Höchstkurs vom 4. Januar 1999 überbot, wurde das auch dem verschlafensten Großanleger klar.

Auf diese Weise macht der Euro zwar seinen Vätern alle Ehre, die dem Dollar etwas entgegensetzen wollten. Aber zugleich sorgt er für große Gefahr.

Zunächst erzeugt es Instabilität, wenn zwei Währungen um die Rolle der Leitwährung buhlen. Global agierende Großanleger sind an einer stabilen Währung interessiert. Missfällt ihnen die Wirtschaftspolitik eines bestimmten Landes, sorgen sie sich vor Inflation oder Abwertung – dann schichten sie ihr Geld um. Und weil der Herdentrieb an den Kapitalmärkten besonders ausgeprägt ist, kann die Stimmung für oder gegen eine Währung schnell kippen. Geschieht so schnell wie vor fünf Jahren in Asien, danach in Russland, Argentinien oder der Türkei, spricht man von einer Währungskrise. Die Finanzmärkte kollabieren, Aktien und Anleihen brechen ein, Unternehmen und Privatleute sind auf einen Schlag pleite. Im Unterschied zu einer langsamen und derzeit für die Amerikaner so nützlichen Abwertung hätte ein Absturz des Dollar auch für die USA fatale Folgen. Bisher aber verbinden die Amerikaner das Wort Währungskrise nur mit Entwicklungsländern.

Das könnte sich bald ändern. Zum ersten Mal, seit der Dollar das britische Pfund als weltweite Leitwährung abgelöst hat, gibt es wieder einen ähnlich liquiden Währungsraum, der Umschichtungen im großen Stil möglich macht: Europa. Schon das Vorhandensein der Alternative Euro reicht also aus, um die großen Währungen zu Spielbällen werden zu lassen und das gesamte Finanzsystem anfälliger zu machen – zum Schaden aller Staaten, auch und vor allem der USA.

Ohne Euro müssten die Investoren wie in den Jahrzehnten zuvor zähneknirschend eine Abwertung oder Inflation tolerieren. Vor dem Euro gab es zwar mit der D-Mark und dem japanischen Yen zwei regionale Leitwährungen. Sie lagen aber in der Währungshierarchie stets eindeutig hinter dem Dollar. Mochten einzelne Investoren ihm auch den Rücken kehren, seine globale Leitwährungsfunktion stand nie infrage. Zu klein waren die Währungsräume von D-Mark und Yen, zu mickrig ihr ökonomisches Potenzial, von der militärischen Stärke ihrer Staaten ganz zu schweigen. Mit dem Euro ist der Dollar erstmals nicht mehr nur das Problem des Rests der Welt, sondern auch ein amerikanisches.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: kooperieren oder den Kampf um den Platz an der Spitze des Währungssystems ausfechten. Kommt es zum Kampf, verlieren nicht nur die beiden Gebiete an Wohlstand, sondern die Weltwirtschaft insgesamt. Denn es gewinnt die stabilere Währung, jene, die niedrigere Inflationsraten aufweist oder höhere reale Zinsen. Die Notenbanken und Regierungen müssten eine ultrarestriktive Geld- und Finanzpolitik betreiben mit nur einem Ziel: den Stabilitätswettlauf zu gewinnen. Bis das entschieden wäre, könnten Jahrzehnte vergehen und die Devisenmärkte würden noch zappeliger reagieren als heute.
Deshalb muss das Ziel Kooperation lauten. Davon ist aber wenig zu sehen. Zwar hat Präsident George W. Bush beim Weltwirtschaftstreffen in Evian Verständnis für die europäischen Probleme geäußert. Aber es dämmert den Verantwortlichen in Washington nur langsam, dass auch dem Dollar eine Währungskrise droht.

Schlimmer noch sind die Europäer. Sie haben die Konkurrenzwährung kreiert, aber keine Vorstellung, wie das internationale Finanzsystem aussehen soll. Die Europäer haben noch nicht einmal Vorkehrungen getroffen, aus dem Euro eine für die Welt erträgliche Leitwährung zu machen. Sie haben der Europäischen Zentralbank (EZB) nur eine Priorität verordnet: die Wahrung der Preisstabilität. Darin liegt eher eine Kampfansage an den Dollar als die notwendige Konzilianz.

Amerika leidet unter den Exzessen der neunziger Jahre, an zu hohen Schulden im Inland und im Ausland. Seine Volkswirtschaft braucht Inflation und einen noch schwächeren Dollar als derzeit. Europa sollte zu einer sanften Abwertung beitragen, ohne eine Währungskrise zu provozieren. Das einfachste Mittel wären kräftige Zinssenkungen der EZB. Eine Senkung des Leitzinses auf ein Prozent oder weniger noch dieses Jahr würde die Attraktivität des Euro mindern und zugleich hierzulande für Wachstum sorgen. Ein besseres Kooperationsangebot könnte der neue Liebling am Devisenmarkt der alternden Leitwährung nicht machen.

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