"der code ist der regulator"

Der Cyberrechtsexperte Lawrence Lessig im Gespräch; Niels Boeing, Hamburg, Januar 2000

km 21.0 Bei der Entwicklung des Internets werden immer wieder die Vorzüge der Selbstregulierung im Gegensatz zu politischer Regulierung beschworen. Wie funktioniert Selbstregulierung?

LAWRENCE LESSIG Wir sollten uns im klaren darüber sein, dass der Code, die technische Architektur des Cyberspace der Regulator ist. Der wird von Leuten geschrieben, die bestimmte Interessen verfolgen – geschäftliche Interessen. Genau das ist dieses "Selbst".
Ich bin nicht gegen Geschäfte, aber wir müssen verstehen, was diese Geschäftsideen sind und wie sie die Entwicklung des Internets beeinflussen.

km 21.0 Können Sie ein Beispiel nennen?

LESSIG In den USA gibt es gegenwärtig eine große Debatte über die Gestaltung des Breitband-Kabelnetzes. Es war ursprünglich als TV-Netz angelegt und wird jetzt für den Internetzugang umgerüstet. Ein solcher Kabelzugang ist sehr schnell, immer online und deshalb ein bedeutender Markt.
So wie AT&T, der frühere Telefon-Monopolist, dieses Kabelnetz gestalten will, gäbe es ihnen die Macht, zu entscheiden, welchen Internet-Provider Sie wählen können, oder welche Inhalte über ihr Kabelnetz gehen. Das passt nicht zur traditionellen Internet-Architektur...

km 21.0 ...die nicht festlegte, wie Daten von einem Rechner zum andern kommen...

LESSIG ...und die es unmöglich machte zu kontrollieren, wie sich das Internet entwickelt. Die User konnten die Entwicklung bestimmen.

km 21.0 Wohin bewegt sich das Netz Ihrer Meinung nach jetzt?

LESSIG In Richtung eines viel kontrollierbareren Internets, in dem die Identität von Nutzern leichter festgestellt und ihre Spur durchs Netz einfacher verfolgt werden kann, in dem Inhalte schwerer kopiert und verbreitet werden können.

km 21.0
Was halten Sie von der Fusion von AOL und Time Warner, das wie AT&T über ein Kabelnetz verfügt?

LESSIG Das könnte sogar eine Wendung zum Guten sein. AOL hat immer einen offenen Netzzugang unterstützt, und sie haben nach der Fusionsankündigung gesagt, dass sie dabei bleiben. Das könnte AT&T dazu bewegen, ebenfalls offene Netzzugänge zu akzeptieren. Die US-Regierung kann eine Öffnung des Kabelnetzes zur Auflage für die Fusion machen.

km 21.0 Wie können Regierungen im Interesse der Nutzer das Netz regulieren?

LESSIG Mit Anti-Kartellpolitik. Wenn sich die Wirtschaft um das Netz kümmert, wird sie nicht unbedingt den größtmöglichen Wettbewerb kreieren. Wenn die Gefahr besteht, dass das Internet wettbewerbs-mindernd umgebaut wird, muss sich die Regierung dem widersetzen. Sie muss sich auch da einsetzen, wo es um öffentliche Werte geht. Beispiel Datenschutz: Der ist kein Anliegen der Wirtschaft, sehr wohl aber eins der Regierung.
Ich glaube nicht, dass die Regierung eine große Rolle spielen muss. Ich bin nur gegen diese typisch amerikanische Sichtweise, alles der Industrie zu überlassen.

km 21.0 Wie beurteilen Sie die Politik der Clinton-Regierung?

LESSIG Clinton und Gore haben eine enorme Gesetzgebung beim Schutz geistigen Eigentums vorangetrieben. Wo es um die Interessen von Hollywood ging, haben sie schnell reagiert. Das wird sich verheerend auf das Internet auswirken.

Eine gekürzte Fassung des Interviews erschien in der "Woche" vom 21. Januar 2000


[zurück zum Anfang]



© 2000 km 21.0 - diese Seite ist Bestandteil von www.km21.org