http://www.km21.org/bilder/km21_log.gif)
das netz ist eine baustelle
- mit hübschen fallgruben für den user
Niels Boeing, Hamburg, Januar
2000
Nachtrag im Sommer 2002
Geschafft. Der
Millennium Bug - die letzte Unwägbarkeit, die den Eintritt
in das multimediale Netzwerk-Zeitalter hätte verhindern
können - hat nicht zugeschlagen. Die Zukunft kann beginnen.
Und so sieht sie
aus: Mit einem Analog-Modem gehe ich ins Netz, wie rund zwei
Drittel aller deutschen Web-Surfer, die noch keine
ISDN-Internet-Verbindung haben. Heiß auf digitale Musik im
MP3-Format, auf brandneue Software, auf skurrile Video-Cartoons,
auf Internet-Radiokanäle aus Mexiko und, und, und É
Ein viel versprechendes Hip-Hop-Stück soll auf meine
Festplatte, 3,5 Megabyte sind runterzuladen. Nach 15 Minuten sind
gerade mal ein Drittel der Daten angekommen, 10 Minuten später
- ich habe inzwischen zu spülen begonnen - passiert gar
nichts mehr: "A network error occurred", Download
abgebrochen. Internet-Alltag im Januar 2000.
Die Netz-Revolution
entpuppt sich schon in ihren Fundamenten, beim Internet-Zugang,
als Langzeit-Baustelle. Nur 10 000 Telekom-Kunden nutzen bislang
die neue DSL-Technik, die bis zu 100-mal schneller als ISDN ist.
Selbst im Internet-Musterland USA surfen erst 225 000 User per
DSL-Anschluss.
Die zweite
Möglichkeit, enorme Datenmengen in kürzester Zeit zu
übertragen - per Fernsehkabel -, ist in Deutschland nicht
mehr als eine Vision: Das Kabelnetz der Telekom kann Daten
bislang nur in eine Richtung befördern. Auf 10 Milliarden
Mark (5,11 Mrd. Û) beziffert Telekom-Sprecher Willfried
Seibel die Investitionen, um das gesamte Kabelnetz Internet-fähig
zu machen. In den USA gehen zwar schon 1,6 Millionen per Kabel
ins Netz, doch klagen zahlreiche Kunden über miserablen
Kundendienst und wechselhafte Verbindungsqualität.
Aber erst mit einer
Datenübertragungsgeschwindigkeit (Bandbreite) von mehreren
Megabit pro Sekunde - die nur DSL und das Fernsehkabel leisten
können - wird der Traum der Medienkonzerne realisierbar: die
Verschmelzung von Internet und Fernsehen zu interaktivem Web-TV.
Bislang stieß allerdings kein Pilotprojekt bei Testkunden
auf ungeteilte Begeisterung. Unvereinbar scheinen die
Nutzergewohnheiten: hier der Netz-User, der vornüber gebeugt
direkt in den Monitor starrt, dort der Fernsehzuschauer, der sich
meterweit vom Gerät entfernt auf das Sofa fläzt.
Die Vision des PCs
als Universalgerät für sämtliche elektronischen
Medien hat die Branche längst verabschiedet: "Es wird
keine Konvergenz der Endgeräte geben, nur eine Konvergenz
der Inhalte", sagt Werner Lauff, Chef der Bertelsmann
Broadband Group, die gerade ein ehrgeiziges Web-TV-Projekt
anschiebt.
Die Hoffnung auf
einen Milliardenmarkt Web-Fernsehen treibt dennoch die
Entwicklung des Internets wie keine andere Kraft voran und steckt
auch hinter der geplanten Mega-Fusion von AOL und Time Warner.
Das ist der erste Zusammenschluss, der alle strategischen
Internet-Bausteine - Datentransport, Provider, Web-Portale und
Inhalte - vereint; und sicher nicht der letzte der Branche. Dem
Go-Network von Disney und Infoseek, einem der großen
Suchdienste, fehlt noch ein Breitbandnetz und ein großer
Provider. Der Block aus Telekommunikationsriese AT&T, das den
Kabelnetzbetreiber TCI schluckte, dem Provider @home sowie dem
Web-Portal Excite wird erst mit einem der großen
Medienkonzerne zum vollwertigen Player im anvisierten
Multimedia-Business.
Das könnte sich
dramatisch auf die weitere Entwicklung des Webs auswirken. So
bietet die Architektur des Internets Möglichkeiten, den
vermeintlich anarchischen Datenverkehr zu manipulieren. Mit dem
so genannten traffic shaping lässt sich softwaregesteuert
die Datenübertragungsgeschwindigkeit in einem Router (das
sind Computer an Internet-Knoten) beliebig drosseln. Diese
Technik kann sinnvoll dafür genutzt werden, Netzkapazität
freizuhalten: Wenn viele Kunden auf Support-Websites auf
Firmen-Servern zugreifen wollen, wird die Bandbreite für
surfende Firmenmitarbeiter kurzerhand runtergefahren, um einen
Datenstau zu verhindern. Andererseits könnten damit aber
auch Provider missliebige Server ausbremsen - auch die ihrer
Konkurrenz. Wie selbstverständlich betreiben Netz-Provider
auch Filter, mit denen der Zugang zu anstößigen
Websites ganz blockiert oder das Herunterladen von Datei- en
unterbunden werden kann. Der Verkauf solcher Listen mit heik- len
Web-Adressen sei ein einträgliches Geschäft für
Netz-Provider, gibt Markus Illenseer vom Deutschen Provider
Network zu. Es gibt also längst digitale Schlagbäume im
Netz, die den Datenverkehr manipulieren können, ohne dass
der Nutzer etwas davon merkt. Der wundert sich nur, warum das
Surfen selbst per ISDN mitunter unerquicklich verläuft.
Möglicherweise
könnte das Netz als verlängerter Arm des Gesetzgebers
sogar bis in die Rechner der User reichen. In den USA ist derzeit
ein entsprechendes Gesetz auf dem Weg durch die Instanzen - der
Uniform Computer Information Transaction Act (UCITA). Weil
Software nur aus Bits besteht, also Informationen, wird sie durch
den Kauf kein Eigentum, anders als Autos oder Geschirr. Der UCITA
räumt Software-Herstellern nun das Recht ein, derartige
Lizenzen online zu widerrufen und dann die Software auf dem
Rechner der Nutzer zu deinstallieren oder zu sperren.
Auch beim
Datenschutz werden die Web-Surfer so manches Mal allein gelassen.
Mit Identifikationsnummern in der Software, die beim Surfen an
die Hersteller übertragen werden, oder kleinen Programmen
(Cookies) auf der Festplatte versuchen Unternehmen
herauszubekommen, wie sich User durchs Web bewegen. Außerdem
müssen sie sich registrieren lassen, um an all die schönen
Online-Angebote wie kostenlose E-Mail-Konten, Terminplaner,
Homepages oder Tauschbörsen zu kommen. Die Informationen,
die Surfer hier eingeben, sind eine heiß begehrte Ware. Sie
liefern entweder potenzielle Adressaten für Werbe-E-Mails,
oder Web-Dienste erhoffen sich Erkenntnisse, wie sie die
Aufmerksamkeit der Surfer - die begehrteste Ressource im Netz
überhaupt - auf ihrer werbefinanzierten Website verlängern
können. Denn längst ist klar, dass sich Information im
Netz nicht verkaufen, sondern nur verschenken lässt. Das
Geld kommt nur über Werbung oder "Marktforschung"
rein.
Weil nur wenige User
die Datenschutzrichtlinien von Online-Diensten prüfen, hat
das World Wide Web Consortium W3C die P3P-Technologie entwickelt,
die eine berprüfung automatisieren soll (www.w3.org/
P3P). Der Nutzer kann damit sein individuelles P3P-Profil gemäß
den eigenen Datenschutzbedürfnissen einstellen: Der Browser
mit eingebautem P3P zeigt dann nur Websites, die dieses Profil
erfüllen. Aber erst im Herbst will das W3C die neue
Technologie als offiziellen Web-Standard empfehlen.
Dass dies so spät
kommt, hat auch mit Patentstreitigkeiten zu tun. Die US-Firma
Intermind hatte mit einer Patentklage den P3P-Standard monatelang
aufgehalten. Immer wieder versuchen Trittbrettfahrer mit eigenen
Patentanträgen ein Stück vom verheißungsvollen
Internet-Kuchen zu ergattern. Dabei werden wie im Fall von P3P
entweder öffentlich zugängliche Ideen ausgebeutet oder
existierende Patente mit Zusätzen versehen, die eine erneute
Patentierung ohne geistige Eigenleistung ermöglichen sollen
- so geschehen bei der Kreditkartenverschlüsselung übers
Netz oder bei "virtuellen" Warenkörben.
Mit dieser
Profitgier wäre die Internet-Revolution, so zäh und
verwirrend sie auch sein mag, gar nicht erst in Gang gekommen.
Dass sie überhaupt begann, ist Tim Berners-Lee zu verdanken,
der die Software für den ersten Web-Server, den ersten
Browser und das Daten-Protokoll HTTP schrieb: Anstatt zu
versuchen, diese durch Patentierung zu vergolden, stellte er sie
für jeden zugänglich und kostenlos ins Internet.
nachtrag
im dezember 2000
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