die welt im sixpack
Niels Boeing, Hamburg, November 2001

Vom Gen bis zur Geschäftsidee: Im verschärften Wettbewerb des informationsbasierten High-Tech-Kapitalismus wird alles patentierbar, wird die Technosphäre privatisiert. Fortschritt, Entwicklung und Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke.

"Hast du gehört, dass Pepsi das Blau schützen lassen möchte?", fragt Octave, der frustrierte Werber, sein verblüfftes Gegenüber. "Ja, doch, ganz im Ernst, sie wollen die Farbe Blau kaufen, sie wollen deren Eigentümer werden" Die Idee aus Frédéric Beigbeders Pamphlet-Roman "Neununddreißigneunzig" mutet absurd an: Die Farbe Blau ist elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge um 450 Nanometer. Kann man auf solch eine Naturerscheinung ein geistiges Eigentumsrecht anmelden? Vor 30 Jahren wäre die Antwort klar gewesen: auf keinen Fall. Heute muss man sagen: Es kommt darauf an.

Der einstige Konsens, dass bloße Ideen, wissenschaftliche Entdeckungen, mathematische Gesetzmäßigkeiten oder Lebewesen auf keinen Fall patentierbar sind, ist dahin. Heute können Sie Gene, Tiere, Pflanzen, Software, ja sogar etwas Vages wie Geschäftsmethoden patentieren lassen - "alles Menschengemachte unter der Sonne", wie der amerikanische Oberste Gerichtshof 1980 urteilte. Dieser radikalen Neuauslegung ist das Patentrecht in Europa zwar noch nicht ganz gefolgt. Hier muss für eine Patenterteilung noch immer explizit die "Technizität" dargelegt werden, die der Bundesgerichtshof 1991 das einzig verlässliche Kriterium für Patentierbarkeit nannte. Und ob das für Software zutrifft, darüber wird derzeit erbittert gestritten. Noch - denn längst verschwimmt der Unterschied zwischen Technik einerseits und Natur und Ideen andererseits.

Ein veralteter Technikbegriff

Technik gilt landläufig immer noch als angewandte Wissenschaft: Ingenieure nutzen in einer Maschine geschickt Naturgesetze aus. Die hat der Wissenschaftler vorher durch Beobachtung entdeckt und mit Bleistift und Papier womöglich in eine mathematische Formel gebracht. Wir erblicken ein Genie wie Newton vor uns, der einen Apfel vom Baum fallen sieht, nachzudenken beginnt und schließlich bei der Niederschrift des Gravitationsgesetzes landet. Das man selbstverständlich nicht patentieren kann.

Die Wirklichkeit ist komplizierter: Wissenschaft ist wiederum angewandte Technik. Wenn Forscher heute in die Eingeweide des - belebten oder unbelebten - Kosmos vordringen, gelingt ihnen das nur mittels komplizierter Technik: mit Computern, chemischen Sonden, Elektronenmikroskopen oder gar gigantischen Teilchendetektoren. Dass die Erkenntnis, die dabei am Ende steht, nicht von der Apparatur des Beobachters zu trennen ist, dämmerte erstmals den Physikern bei der Entdeckung der Quantenmechanik. Heute ist das nichts Besonderes mehr: In den vergangenen 20 Jahren wurden allein sechs Physik-Nobelpreise für technische Verfahren in der Teilchenphysik vergeben.

Die Technosphäre und der Kapitalismus

Diese Entwicklung gilt auch für den Mikrokosmos der Biologie. Ein Gen als Folge von Basenpaaren und seine Funktion für einen Organismus zu identifizieren gelingt nur mit Hilfe eines technischen Verfahrens. Wer dieses patentiert, bekommt das Gen, das der gesunde Menschenverstand als Teil der Natur bezeichnen würde, gleich dazu. Es wurde ja letztlich durch die Technik erst gefunden. Vergleichbares findet mit der Ausbreitung von Computer und Internet im Reich der Ideen statt. Mag sein, dass Software "als solche", die nach deutschem und europäischem Recht bislang nicht patentierbar ist, nur aus mathematischen Rechenverfahren besteht. Doch wird sie nie ohne einen Rechner benutzt. Das Problem zeigt sich an juristischen Spitzfindigkeiten, die unterscheiden, ob die Software nur auf einem Datenträger sitzt - nicht patentierbar - oder im Hauptspeicher integraler Bestandteil der Maschine PC wird - patentierbar. Hier offenbart sich die Hilflosigkeit, Technik noch von Ideen oder reiner Erkenntnis abzugrenzen.

Insofern ist es konsequent, dass in den USA seit 1996 auch Geschäftsmethoden wie Online-Auktionen patentiert werden. Denn im Zeitalter des E-Business werden sie zunehmend auf PCs und Internetservern als Datensätze behandelt und ausgeführt. Ohne Rechner existieren diese Geschäftsmethoden nicht. Wenn sich aber Natur oder Ideen und technische Prozedur nicht mehr sauber voneinander trennen lassen, geht am Ende alles in Technik auf. Der Planet Erde wird in eine umfassende Technosphäre umgewandelt. Mit Fortschritten in Hirnforschung und künstlicher Intelligenz könnte bald sogar unser Bewusstsein ein Teil davon werden.

Diese neue Technosphäre ist die Bühne des modernen Kapitalismus. Wer von ihr profitieren will, muss rechtzeitig seine Claims abstecken. Das geschieht mit Hilfe von Patenten. Im Rennen um die Märkte der Zukunft ist die Dritte Welt auch diesmal nur als Rohstofflieferant vorgesehen. Die genetische Vielfalt ihrer Pflanzen und Tierwelt, ja selbst ihrer Einwohner, wird von westlichen Konzernen "entdeckt", technisiert, über Patente angeeignet und in neue Produkte verwandelt.

Das Trips-Abkommen der Welthandelsorganisation von 1995 zum Schutz geistigen Eigentums bringt die nationalen Patentrechte auf einen Nenner. Was patentfähig ist, was geschützt werden muss, bestimmt dabei vor allem die Handelsmacht USA (siehe nebenstehenden Text). Dazu gehören eben auch Pflanzen, Tiere, menschliche Gene oder Naturprodukte wie das Öl des Neem-Baums. Dass dem US-Konzern W. R. Grace zumindest in Europa das Patent dafür abgesprochen wurde, gelang nur, weil das Öl nicht neu - das zweite wichtige Kriterium für ein Patent - war. In Indien wird es seit Jahrhunderten aus der natürlichen "Dorfapotheke", dem Neem-Baum, gewonnen, eine indische Firma vertreibt es seit 25 Jahren. Dieser Erfolg ist aber eine Ausnahme geblieben.

Die Folgen des Patentwahns

Gegen die Neudefinition der Patentierbarkeit und ihre Folgen hat sich ein ethisch und politisch motivierter Widerstand formiert. Neu ist, dass nun endlich auch Patentverfechter und Wissenschaftler selbst die aktuelle Entwicklung in Frage stellen. Ökonomische Argumente gegen Patente sind allerdings so alt wie die Institution selbst. Diese war nie von Gerechtigkeit für den Erfinder motiviert, sondern eine frühe Form von Wirtschaftspolitik. Erstmals per Gesetz 1474 in Venedig eingeführt, ab dem 17. Jahrhundert dauerhaft im englischen Recht verankert, beinhalteten sie immer ein Monopolprivileg. Patente dienten dazu, Wettbewerb - vor allem ausländische Konkurrenz - auszuschalten.

Dem Liberalismus des frühen 19. Jahrhunderts war diese Behinderung des Handels ein Gräuel, eine mächtige Antipatentbewegung die Folge. Erst ab 1870 wendete sich das Blatt, führten die europäischen Staaten Patentgesetze - in Deutschland 1877 - ein, um ihre Firmen im Kampf um die Märkte der Industrialisierung, Chemie, Pharmazeutik, Elektrotechnik oder Maschinenbau, zu unterstützen. Als 1981 das deutsche Patentgesetz seine aktuelle Fassung erhielt, dachte jedoch niemand an eine weltumspannende Vernetzung von Computern, an die Entschlüsselung und Industrialisierung der Genome von Mensch und Tier oder an die Globalisierung.

In den 90er Jahren haben diese Entwicklungen eine unvorhergesehene Flut neuer Patentanmeldungen ausgelöst - sie droht genau das zu ersticken, was nach heutiger Sprachregelung mit Patenten gefördert werden soll: Innovationen und Forschung. Da Patente auf Gene oder natürliche Substanzen einen uneingeschränkten Stoffschutz beinhalten, bekommt der Inhaber automatisch die Rechte an sämtlichen Funktionen des Stoffes - auch denen, die noch unbekannt sind. Auf dieser Basis klagte Boehringer Ingelheim erfolgreich dagegen, dass menschliches Interferon, für das es ein Patent hielt, als Rheumamittel eingesetzt wird - obwohl es selbst kein derartiges Mittel produzieren wollte.

Anderes Beispiel: der so genannte Vitamin-A-Reis. Die ihm zu Grunde liegende Veränderung des Reis-Genoms verletzt rund 70 andere Patente. Diese Problematik wiederum findet sich auch bei den Software-Patenten. Da nicht nur konkreter Code, sondern die Ideen dahinter patentiert werden, sind Verletzungen des Schutzrechtes fast unvermeidbar. So werden Neuentwicklungen gerade für kleine Firmen zum finanziellen Risiko.

Helfen soll eine Abschwächung des Patentrechtes: Kein umfassender Stoffschutz für Gene oder Gensequenzen mehr, kürzere Schutzzeiten als die üblichen 20 Jahre in Märkten mit kurzen Produktzyklen wie Software, fordern inzwischen sogar eingefleischte Patentbefürworter wie der Münchner Patentrechtsexperte Joseph Straus.

Fortschritt ist auch anders möglich

Dass nur die Aussicht auf Patente zu bahnbrechenden Innovationen beflügelt, darf ohnehin bezweifelt werden. Ende der 80er Jahre entwickelte der britische Physiker Tim Berners-Lee am Schweizer Kernforschungszentrum Cern das Konzept des World Wide Web. Er ließ es jedoch nie patentieren, was in den USA damals bereits möglich gewesen wäre. Auf die Frage warum, sagte er einmal im "Spiegel", "dass die Entwicklung, die das Netz genommen hat, gerade deshalb so rasant war, weil jeder Software für das Web entwickeln konnte, ohne sich um Lizenzen scheren zu müssen".

Welchen Vorteil bietet ein System, in dem unter technischen Gesichtspunkten alles patentierbar ist, Patente zunehmend als ökonomische Waffen eingesetzt werden und obendrein noch Innovationen verhindern? Eine Antwort gab der österreichische Ökonom Fritz Machlup schon 1958. In einer Analyse der Patentgeschichte für den US-Senat kam er zu dem Schluss: "Wenn es noch kein Patentsystem gäbe, wäre es unverantwortlich, seine Einrichtung auf der Basis unseres heutigen Wissens über seine ökonomischen Konsequenzen zu empfehlen."

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was alles patentierbar ist

Maschinen:
Privilegien für Erfinder

Die frühen Patente wurden für mechanische Erfindungen erteilt, im 19. Jahrhundert auch für chemische Verbindungen (wie den synthetischen Farbstoff Indigo von BASF 1877, das erste deutsche Reichspatent). Das Patent auf den Viertaktmotor wurde 1886 gerichtlich aufgehoben. Erst danach konnten auch andere Hersteller den Motor bauen.

Arzneien:
Erfolg durch Krankheit

Arzneimittel wurden erst recht spät patentierbar gemacht: In Deutschland 1968, in Schweden und Italien sogar erst 1978. Begründung: Die Forschung sollte nicht behindert werden! John Salk, Entdecker des Polio-Impfstoffes, entgegnete 1955 noch verwundert auf die Frage nach den Rechten daran: "Es gibt kein Patent. Kann man etwa die Sonne patentieren?"

Gene:
Bausteine des Lebens

1980 wurde beim deutschen Patentamt erstmals in Europa ein Patent auf ein Gen (für den Wirkstoff Interferon) beantragt. Bis Ende 2000 waren weltweit 25000 Patente angemeldet, die auf dem Erbmaterial DNS aufbauen, darunter sind mehrere Tausend des US-Genforschers Craig Venter.

Software:
die Krux mit den Bits

1972 hatte der Oberste Gerichtshof der USA noch die Patentierbarkeit von Software verworfen. 1981 wurde mit der "Means plus Function"-Argumentation die Kehrtwendung vollzogen: Software löst in den Schaltkreisen eine technische Wirkung aus. Der Rechner ist damit zu einer neuen Maschine geworden, die einen Zweck erfüllt.

Pflanzen und Tiere:
das grüne Gold

Das erste Bakterium wurde 1981 patentiert, das erste Säugetier 1988: Die an der Harvard University entwickelte "Krebsmaus" enthielt ein Gen, das zu häufigerer Tumorbildung führt. Für Pflanzen gab es traditionell Sortenschutz für neue Züchtungen. Pflanzenpatente erweitern die Rechte des Patentinhabers demgegenüber deutlich.

Geschäftsmethoden:
belohnte Pfiffigkeit

Die Patentierung von Geschäftsmethoden ist der letzte Schrei aus den USA. 1996 erhob das US-Patentamt sie in den Rang schutzwürdigen geistigen Eigentums. Bekannteste Beispiele sind das One-Click-Shopping des Online-Kaufhauses Amazon.com oder die umgekehrte Auktion von Priceline.com. Auch diese simplen Ideen sind 20 Jahre geschützt.

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