déjà vu: die neue
nanotech-debatte

Niels Boeing, Hamburg, Juli 2003

Über der Nanotechnik braut sich ein Sturm zusammen: Umweltaktivisten machen mobil gegen die Risiken von höchst realen Nanopartikeln. Forschung und Industrie sind unvorbereitet, die Faktenlage ist unübersichtlich. Gute Voraussetzungen für einen Schlagabtausch à la "Brent Spar"

Fakten statt Science Fiction
Wundermittel unter Verdacht
Unbefriedigende Indizien
Unbefriedigende Alibis
Viel Geld - und ein Hauch von Brent Spar

Der Text ist Teil dieses neuen Buches, das seit 19. März im Buchhandel ist. Infos unter nano.bitfaction.com.

Lange Zeit war Nanotechnik einfach nur "the next big thing". Mit Betonung auf "next": Irgendwann nach Internet- und Biotech-Begeisterung würde der nächste Boom von der Auswechselbank geholt werden. Forscher warben damit, dass bald dank der raffinierten Bearbeitung von Molekülen und Objekten von wenigen Milliardstel, also Nano-Metern Größe ganz neue Materialien, medizinische Produkte und Computerbauteile möglich würden (s. "Werkzeuge für eine absurde Welt"). Die Skeptiker arbeiteten sich derweil am Katastrophen-Szenario amoklaufender Nanoroboter ab, das vor allem nach Science Fiction klang und Michael Crichton mit “Prey” zu einem weiteren Bestseller verhalf. Die Nano-Community konnte das getrost als Blödsinn abtun, Gelder sammeln und weiterforschen.

Das ist vorbei. Über dem hochtalentierten Wunderkind braut sich ein Sturm zusammen. "Umweltaktivisten, die der Biotechnik-Industrie wegen gentechnisch veränderten Saatguts eine blutige Nase verpasst haben, fassen nun mit frischen Kräften die Nanotechnik als nächstes Ziel ins Auge", warnt das renommierte britische Wissenschaftsmagazin Nature, das nicht für Alarmismus bekannt ist.

Fakten statt Science Fiction

Diesmal geht es nicht um fiktive Nanoroboter, sondern um konkrete Anwendungen: so genannte Nanopartikel, Teilchen von weniger als 100 Nanometern Durchmesser. Diese werden bereits in ersten Produkten verwendet. Körnchen aus Zink- oder Titanoxid kommen etwa in transparenten Sonnencremes vor, Silbernanoteilchen sollen als Bakterienabwehr eingesetzt werden. Dazu kommt eine Form des Kohlenstoffs, die erst Mitte der Achtziger Jahre entdeckt wurde: die Fullerene. Diese Moleküle haben die Gestalt winziger Fussbälle ("Bucky Balls") oder hauchfeiner Röhrchen ("Nanotubes"). Vor allem den Nanotubes werden phantastische Eigenschaften nachgesagt. Sie lassen sich wahlweise als Transistor, als kleine Transportkäfige für Medikamente oder auch als Fasern verwenden, deren Reißfestigkeit noch Stahl übertrifft.

Investoren bekommen bei den Marktaussichten leuchtende Augen. Eine kleine Truppe von Umweltaktivisten, die Action Group on Environment, Technology and Concentration, kurz: ETC Group, aus dem kanadischen Winnipeg (www.etcgroup.org), sieht das anders. Vor einem Jahr veröffentlichte die Gruppe, bis dahin eigentlich als hartnäckiger Widersacher von Monsanto in Erscheinung getreten, ein Pamphlet mit dem Titel "No Small Matter" (www.etcgroup.org/documents/Occ.Paper_Nanosafety.pdf). Darin forderten die Kanadier einen vorübergehenden Stopp jeglicher nanotechnischer Forschung. Begründung: Die möglichen Gefahren von Nanopartikeln seien nicht ausreichend erforscht.

Was zunächst eine unbedeutende Einzelaktion zu sein schien, wächst sich nun zu einer handfesten Kampagne aus. Im April bekräftigte die ETC Group ihre Forderung unter Berufung auf neue toxikologische Untersuchungen der Universität Liverpool (www.etcgroup.org/documents/Occ.Paper_Nanosafety.pdf). Zur selben Zeit hatte auch Prince Charles das Thema entdeckt. Das Medienecho bewog britische Regierung schließlich, die möglichen Folgen der Nanotechnik genauer untersuchen zu lassen. Anfang Juni diskutierten die ETC Group, Greenpeace und Gene Watch UK beim Europäischen Parlament in Brüssel über die möglichen Gefahren. Und vorletzte Woche legte Greenpeace UK einen eigenen Report zum Thema vor, Titel: "Future Technologies, Today's Choices" (www.greenpeace.org.uk/MultimediaFiles/Live/FullReport/5886.pdf).

Damit wird die Nanotechnik-Debatte, die vor drei Jahren mit einem düsteren Essay von Bill Joy, dem Chef-Entwickler von Sun Microsystems, begonnen hatte ("Warum die Zukunft uns nicht braucht"), vom Kopf auf die Füße gestellt. Endlich wird über Fakten und nicht Science Fiction gestritten – das ist zweifellos eine gute Nachricht. Die schlechte: Bei der Nanotechnik-Szene speziell in Deutschland ist die Debatte noch nicht angekommen, die Faktenlage ist unübersichtlich und die Kritiker fahren emotionale Geschütze auf. Wer hier ein Déjà Vu zur Gentechnik-Debatte hat, liegt nicht ganz falsch.

Wundermittel unter Verdacht

Was ist das Besondere an Nanopartikeln? Dank ihrer "Größe" sind sie hervorragende Katalysatoren für chemische Prozesse. Ein Beispiel: Silber, das in Form wenige Nanometer messender Körnchen in einem Kunststoff verteilt wird, hat eine Gesamtoberfläche von 40 bis 60 Metern pro Gramm. Herkömmliche Silberkörnchen von einigen Mikrometern Durchmesser addieren sich nur auf vier Meter pro Gramm. Je größer die Oberfläche, desto effizienter die Katalyse, also die chemische Wirkung. Das ist in einer antibakteriellen Beschichtung, etwa in Krankenhäusern, ein Segen – in einer ganz anderen, womöglich biologischen Umgebung ein Fluch. Weil Nanopartikel so klein sind, können sie im Prinzip auch in Zellen eindringen. Dies lässt sich nutzen, um dort Medikamente abzuladen oder Krebszellen zu therapieren. Was aber, wenn Teilchen Zellen entern, für die sie nicht nicht vorgesehen sind?

Zwar weiß man recht gut, was man mit Nanoteilchen alles machen will, aber wenig, welche Effekte diese in freier Wildbahn haben könnten. Weil bislang keine umfassenden Studien über Nanopartikel vorliegen, stützen sich Toxikologen bislang auf Vergleiche mit ultrafeinen Stäuben, die bei der Verbrennung von Kraftstoffen oder in der industriellen Produktion seit Jahrzehnten anfallen. Ein Vorgehen, dass bei Kritikern umstritten ist, weil manche Nanopartikel wie die Kohlenstoffröhrchen Laborprodukte ohne natürlich Entsprechung sind.

"Wir mussten erstaunt feststellen, dass es in einem Forschungsgebiet, das 12.000 Zitate pro Jahr vorweisen kann, weder Modelle zur Risikobewertung noch toxikologische Studien zu synthetischen Nanomaterialien gab", sagt Vicki Colvin über den Start von CBEN, dem Center for Biological and Environmental Nanotechnology an der Rice University in Houston (www.rice.edu/cben), vor zwei Jahren. CBEN ist inzwischen zur führenden Forschungseinrichtung für die Nanorisiken geworden. “Die Nanotoxikologie ist ein ganz neues Gebiet”, bestätigt auch Roel Schins vom Medizinischen Institut für Umwelthygiene an der Uni Düsseldorf (www.miu.uni-duesseldorf.de). Erst Anfang der 90er Jahre habe es epidemiologische Studien gegeben, die einen direkten Zusammenhang zwischen ultrafeinen Stäuben und Lungenkrankheiten feststellten. Beim Bundesinstitut für Risikobewertung (www.bgvv.de), einer der Nachfolgerinnen des früheren Bundesgesundheitsamtes, hat man sich mit der Thematik noch gar nicht explizit beschäftigt hat, wie eine Nachfrage ergab.

Unbefriedigende Indizien

"Es gibt Belege dafür, dass ultrafeine Teilchen auf verschiedenen Wegen in den Körper gelangen können, durch Einatmen, Verschlucken oder auch durch die Haut", sagt Vyvyan Howard von Universität Liverpool, "und viel spricht dafür, dass sie toxisch sind." Die Zellbiologin wird von der ETC Group als Kronzeugin für das Gefahrenpotenzial der Nanotechnik herangezogen. Eine Studie des Johnson Space Centers der Nasa konstatierte unlängst bei Mäusen Schäden in Lunge und Darm, nachdem man diese vereinzelten Kohlenstoffnanoröhrchen in der Luft ausgesetzt hatte. "Ist dies das neue Asbest?" fragt Mark Wiesner vom CBEN, der ebenfalls "Nanotubes" untersucht. In der Tat ähneln sich beide Materialien darin, dass es sich um lange, dünne Fasern handelt.

Unbefriedigende Alibis

Doch ganz so klar ist die Angelegenheit nicht. Nanopartikel neigen aufgrund ihrer hohen Anziehungskräfte dazu, schnell zusammenzuklumpen. Das passiert sowohl in der Luft bei der Bildung von Aerosolen als auch in Gelen oder Ölen. Sobald diese Klümpchen Mikrometergröße erreicht haben, sind selbst Nanotubes unschädlich, wie die Nasa-Studie ebenfalls feststellte. Bislang werden Kleinstteilchen von führenden Herstellern wie dem Institut für Neue Materialien in Saarbrücken (INM, www.inm-gmbh.de) bei Nanowerkstoffen in einen Träger oder eine Flüssigkeit eingebettet. "Trockene Verarbeitung von Nanpartikeln ist riskant und führt bei neuen Werkstoffen auch kaum zum Ziel. Das INM hat sich deshalb von Anfang an für nasschemische Nanotechnik entschieden", sagt INM-Sprecher Franz Frisch.

Bliebe zumindest der Hautkontakt als Übertragungsweg übrig, etwa bei Titaniumdioxid in Sonnencremes. "Wir haben umfangreiche Untersuchungen mit Hilfe der Elektronenmikroskopie gemacht, die zeigen, dass diese Nanopartikel nicht in die Haut eindringen" versichert Ulrich Hintze, Leiter der analytischen Forschung bei Beiersdorf, das entsprechende Lotionen produziert. Diese und andere Forschungsergebnisse haben das zuständige wissenschaftliche Komitee der Europäischen Kommission veranlasst - analog zur Food and Drug Administration in den USA - Titandioxid als UV-Filtersubstanz offiziell zuzulassen, so Hintze (europa.eu.int/comm/food/fs/sc/sccp/out135_en.html).

Günter Oberdörster von der Universitat Rochester, New York, der seit über 30 Jahren die Wirkungen kleinster Partikel erforscht (www2.envmed.rochester.edu/envmed/PMC/indexPMC.html), glaubt nicht, Wissenschaftler würden das Problem auf die leichte Schulter nehmen. “Es wird nicht wie wild drauf los geforscht. Mein Eindruck von Fachkongressen ist, dass sich die Nanotechniker sehr dafür interessieren, wie toxisch Nanopartikel sind.”

Viel Geld - und ein Hauch von Brent Spar

Dass die Nanotechnik nun so unter Beschuss kommt, kann eigentlich kaum überraschen. Die öffentlichen Forschungsgelder in die Nanotechnik haben sich weltweit von 1997 bis 2002 auf über 2 Mrd. Dollar verfünffachtfacht. Die von Bill Clinton 2000 aufgelegte National Nanotechnology Initiative (www.nni.gov) kann sich im Umfang mit dem berühmten Apollo-Mondlande-Programm messen. Die japanische Regierung wird in diesem Jahr voraussichtlich sogar die US-Förderung toppen und 1 Mrd. Dollar bereitstellen.

Wo so viel Geld im Spiel ist, drängen nicht nur Investoren hin – auch NGOs mögen da nicht abseits stehen. Denn auch die funktionieren am Ende nach den Gesetzen der Marktwirtschaft, vor allem der Aufmerksamkeitsökonomie. Und um noch etwas auf die Tube zu drücken, hat die ETC Group die Nanotechnik gleich in "Atomtechnology" umgetauft. Das klingt ganz vertraut nach Gefahr – und riecht ein wenig nach "Brent Spar". In den Papern der Gruppe werden viele Hypothesen mit dürftigen Fakten versehen. Im Gegensatz dazu ist das neue Greenpeace-Paper überraschend sachlich und sehr informativ gehalten. Verfasst wurde es von Wissenschaftlern des Imperial College London. Eine gute Idee.

Forschung und Industrie sind allerdings gut beraten, einen solchen Wechsel von der Gentechnikkritik auf ein neues Spielfeld nicht mit Zynismus zu quittieren oder die Einwände als unwissenschaftlich oder irrelevant abzutun. "Das wäre leicht, aber sehr unklug", warnen die Nature-Herausgeber. Und Herbert Paschen, Gründer des Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, empfiehlt: "Wir halten es für dringend erforderlich, die Forschung in die Gesundheits- und Umweltfolgen von Nanotechnik zu intensivieren." Paschen und seine Mitarbeiter haben gerade den ersten deutschen Bericht über die Potenziale und Folgen der Nanotechnik abgeschlossen, der im Bundestagsauschuss für Bildung und Forschung im Oktober diskutiert wird. Bis dahin wird die deutsche Nano-Community wohl aufgewacht sein: "Die Debatte um Nanopartikel wird jetzt in Gang kommen", ist sich Paschen sicher.

In den USA ist man da bereits weiter, wie die Gründung des CBEN zeigt. Im Frühjahr lud der Wissenschaftsausschuss des US-Repräsentantenhauses nicht nur die Creme der dortigen Nano-Szene ein. Auch Skeptiker unterschiedlicher Couleur kamen zu Wort, darunter Langdon Winner, der durch seine Kritik an der Atomkraft bekannt geworden ist. Er warnt davor, die offenen Fragen wieder in Expertenzirkel zurück zu verweisen. "Warum nicht die Öffentlichkeit früh in Deliberations über Nanotechnik einbeziehen anstatt auf die Reaktionen zu warten, wenn die Produkte auf den Markt kommen?" (www.house.gov/science/hearings/full03/apr09/winner.htm) Er schlägt deshalb landesweite "Kommissionen normaler, uninteressierter Bürger" vor, die selbst Hearings veranstalten sollen. Keine schlechte Idee eigentlich, wenn man irgendwann mal Kunden und nicht Opfer haben möchte.

(wird demnächst fortgesetzt)

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