der krieg mit den molchen
Karel Capek, 1936

1936 war Capeks Buch eine Ahnung nahenden Unheils. Die kulturlosen, ingenieurhaften, Lebensraum erobernden Molche waren wie die Nazis. Unersättlich stellten sie immer absurdere Bedingungen, um kurz danach jeden Vertrag zu brechen.
2001 beunruhigt das Buch viel subtiler. Mit einem Mal liest sich der "Krieg mit Molchen" als ein Desaster, das auf einen profitmotivierten biotechnischen Eingriff in die Evolution folgen könnte:

...Wir sehen also die Salamander in raschem und beständigem Aufstieg. Ihre Zahl wird schon auf sieben Milliarden geschätzt, obwohl mit der wachsenden Zivilisation ihre Geburtenziffer jäh abfällt (auf zwanzig bis dreißig Larven pro Weibchen jährlich). Sie haben schon sechzig Prozent sämtlicher Weltküsten besiedelt; noch sind die Polarküsten unbewohnt, aber die kanadischen Molche beginnen die Küste Grönlands zu kolonisieren, wo sie die Eskimos ins Inland verdrängen und Fischfang und Lebertrangeschäft selbst in die Hand nehmen. Mit ihrem materiellen Aufschwung Hand in Hand geht ihr zivilisatorischer Fortschritt. Sie treten in die Reihen der gebildeten Völker mit Schulpflicht ein und können sich vieler hundert unterseeischer Zeitungen rühmen, die in Millionen von Exemplaren erscheinen, wie auch musterhaft aufgebauter wissenschaftlicher Institute und so weiter. Selbstverständlich ging dieser kulturelle Aufstieg nicht immer glatt und ohne inneren Widerstand vonstatten.

Wir wissen zwar außerordentlich wenig über die internen Angelegenheiten der Molche, aber nach gewissen Anzeichen (daß zum Beispiel Molchleichen mit abgebissenen Nasen und Köpfen da und dort aufgefunden wurden) scheint eine Zeitlang unter der Meeresoberfläche ein sich lange hinziehender, leidenschaftlicher Ideenstreit zwischen Alt- und Jungmolchen getobt zu haben. Die Jungmolche waren offenbar für Fortschritt ohne Vorbehalt und Einschränkung und verkündeten, auch unter Wasser müsse die Bildung des Festlandes voll und ganz nachgeholt werden, Fußball, Flirt, Faschismus und sexuelle Inversion nicht ausgenommen. Die Altmolche hingegen wollten, wie es scheint, konservativ am natürlichen Molchtum festhalten und nicht von den alten, guten tierischen Gewohnheiten und Instinkten abgehen; zweifellos verurteilten sie das fieberhafte Streben nach Neuerungen und erblickten darin Verfallserscheinungen und Verrat an den ererbten Molchidealen. Sicher eiferten sie auch gegen fremde Einflüsse, denen die heutige, irregeführte Jugend unterliege, und fragten sich, ob dieses Nachäffen der Menschen stolzer und selbstbewußter Molche würdig sei. Wir können uns lebhaft vorstellen, daß Losungen geprägt wurden wie:

Zurück zum Miozän!
Fort mit allem, was uns vermenschlichen will!

In den Kampf für das unverfälschte Molchtum!Und so weiter. Zweifellos waren alle Voraussetzungen für einen regen Generationskonflikt der Anschauungen und für eine tiefe geistige Revolution in der Entwicklung der Salamander gegeben. Wir bedauern, keine näheren Einzelheiten darüber anführen zu können, doch wollen wir hoffen, daß die Molche aus diesem Konflikt soviel herausholten, als sie nur konnten.

Nun also treffen wir die Salamander auf dem Weg zur höchsten Blüte. Aber auch die Menschenwelt erfreut sich einer ungeahnten Prosperität. Es werden mit Feuereifer neue Küsten gebaut, auf alten Sandbänken wächst neues Festland empor, inmitten des Ozeans erheben sich künstliche Fluginseln. Aber das alles ist nichts gegen die riesenhaften technischen Projekte zur völligen Umgestaltung unseres Erdballs, die nur darauf warten, von jemandem finanziert zu werden. Die Molche arbeiten unablässig in allen Meeren und an den Ufern aller Kontinente, solange die Nacht dauert. Sie scheinen zufrieden, verlangen nichts für sich selbst als Arbeit und Möglichkeit, in die Küsten Löcher und Gänge ihrer düsteren Ubikationen zu bohren. Sie haben ihre unterseeischen und unterirdischen Städte, ihre Tiefenmetropolen, ihr Essen und Birmingham auf dem Meeresgrund in einer Tiefe von zwanzig bis fünfzig Metern. Sie haben ihre überfüllten Fabrikviertel, ihre Häfen, Transportlinien und Millionenagglomerationen, kurz, sie haben ihre mehr oder weniger unbekannte, aber technisch allem Anschein nach hochentwickelte Welt. Sie haben wohl keine Hochöfen und Hüttenwerke, aber die Menschen liefern ihnen Metalle im Austausch gegen ihre Arbeit. Sie haben keine eigenen Sprengstoffe, aber die verkaufen ihnen die Menschen. Ihr Treibstoff ist das Meer mit seiner Ebbe und Flut, seinen Unterströmungen und Temperaturunterschieden. Die Turbinen liefern ihnen zwar die Menschen, aber sie verstehen damit umzugehen. Und ist Zivilisation etwas anderes als die Fähigkeit, Dinge zu gebrauchen, die sich andere ausgedacht haben? Selbst wenn den Molchen, nehmen wir an, eigene Gedanken fehlen, können sie recht gut eine Wissenschaft haben. Sie haben zwar keine Musik oder Literatur, aber sie kommen vorzüglich ohne sie aus.

Und die Menschen beginnen sich der Ansicht zuzuneigen, daß das von den Salamandern eigentlich fabelhaft modern ist. Siehe da, schon kann der Mensch von den Molchen mancherlei lernen - kein Wunder: Sind denn die Molche nicht unerhört erfolgreich? Und woran sollen sich die Menschen ein Beispiel nehmen, wenn nicht am Erfolg? Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist so viel erzeugt, gebaut und verdient worden wie in dieser großen Zeit. Es läßt sich nicht leugnen, mit den Molchen ist ein ungeheurer Fortschritt in die Welt gekommen und ein Ideal, das »Quantität« heißt. »Wir, die Menschen des Molchzeitalters«, sagt man mit berechtigtem Stolz. Da kann sich das überlebte Menschenzeitalter mit seiner langsamen, läppischen, nutzlosen Tändelei, die sich Kultur, Kunst, reine Wissenschaft oder wie sonst noch nannte, verkriechen! Die echten, bewußten Menschen des Molchzeitalters werden ihre Zeit nicht mehr mit Grübeleien über das Wesen der Dinge vergeuden, sie werden allein mit deren Anzahl und Massenerzeugung genug zu tun haben. Die ganze Zukunft der Welt liegt darin, Erzeugung und Konsum ständig zu erhöhen, und deshalb muß es noch mehr Molche geben, damit sie noch mehr erzeugen, noch mehr fressen. Die Molche sind einfach die Menge, ihre epochale Tat liegt darin, daß es so viele sind. Erst jetzt kann der menschliche Scharfsinn sich voll entfalten, denn er arbeitet im großen, mit äußerster Produktionskapazität und einem Rekordumsatz in der Wirtschaft. Kurz, es ist eine große Zeit.

Was fehlt also noch, damit das »glückliche neue Zeitalter« allgemeiner Zufriedenheit und Prosperität wirklich eintritt? Was hindert die Geburt der ersehnten Utopie, in der all die technischen Triumphe und grandiosen Möglichkeiten geerntet werden können, die sich dem menschlichen Wohlstand und dem Fleiß der Molche immer weiter und weiter, bis ins unendliche eröffnen?

Wahrlich nichts. Denn nun wird dem Molchhandel die Krone aufgesetzt, auch von seiten staatsmännischer Voraussicht, die von vornherein dafür sorgt, daß es im Räderwerk des neuen Zeitalters nicht einst zu knirschen beginne. In London tritt eine Konferenz der Seestaaten zusammen, auf der eine Internationale Salamander-Konvention ausgearbeitet und angenommen wird. Die hohen Vertragspartner verpflichten sich gegenseitig, ihre Molche nicht in die Hoheitsgewässer anderer Staaten zu senden; nicht zu dulden, daß ihre Molche die territoriale Integrität oder die anerkannte Interessensphäre irgendeines anderen Staates verletzen-, in keiner Weise in die Molchangelegenheiten einer anderen Seemacht einzugreifen; sich im Falle des Zusammenstoßes eigener und fremder Salamander dem Haager Schiedsgericht zu unterwerfen; ihre Molche mit keinen Waffen größeren Kalibers auszurüsten als dein der gewöhnlichen Unterwasserpistolen für Haifische (der sogenannten Safranek- oder shark guns); nicht zuzulassen, daß ihre Molche nähere Beziehungen mit Salamandern anknüpfen, die einer anderen staatlichen Oberhoheit unterstehen; mit Hilfe von Molchen ohne vorherige Zustimmung der Permanenten Marinekommission in Genf weder neues Festland zu bauen noch ihr eigenes Territorium zu erweitern, und so fort. (Es waren siebenunddreißig Paragraphen.)

Hingegen wurden abgelehnt: der britische Vorschlag einer Verpflichtung seitens der Seemächte, ihre Molche keiner obligaten militärischen Ausbildung zu unterziehen; der französische Vorschlag, die Salamander zu internationalisieren und einem Zwischenstaatlichen Molchamt zur Regelung der Weltgewässer zu unterstellen; der deutsche Vorschlag, jedem Molch das Zeichen des Staates einzubrennen, dessen Untertan er sei; ein weiterer deutscher Vorschlag, jeder Seemacht nur eine bestimmte Anzahl von Salamandern in einem feststehenden Zahlenverhältnis zu gestatten, der italienische Vorschlag, Staaten mit einem Überfluß an Molchen neue Kolonisationsküsten oder Parzellen auf dem Meeresboden zuzuteilen; der japanische Vorschlag der Ausübung eines internationalen Mandats über die Molche (die von Natur aus schwarz seien) durch das japanische Volk als Vertreter der farbigen Rassen.

Der größte Teil dieser Vorschläge wurde auf die nächste Konferenz der Seemächte verwiesen, die aber aus verschiedenen Gründen nicht mehr stattfand.»Durch diesen internationalen Akt«, schrieb M. Jules Sauerstoff in »Le Temps«, »ist die Zukunft der Molche und die friedliche Entwicklung der Menschheit auf Jahrzehnte hinaus gesichert. Wir beglückwünschen die Londoner Konferenz zu dem erfolgreichen Abschluß ihrer schwierigen Beratungen. Wir beglückwünschen auch die Molche, denen durch das erlassene Statut der Schutz des Haager Schiedsgeriches zuteil wird. Nun können sie sich in Ruhe und Vertrauen ihrer Arbeit und ihrem unterseeischen Fortschritt widmen. Es sei hierbei betont, daß die Entpolitisierung des Molchproblems, die auf der Londoner Konferenz ihren Ausdruck fand, eine der bedeutendsten Garantien des Weltfriedens ist. Insbesondere die Abrüstung der Molche verringert die Wahrscheinlichkeit unterseeischer Konflikte zwischen den einzelnen Staaten. Tatsache ist, daß - obwohl die zahlreichen Grenz- und Machtstreitigkeiten auf beinahe allen Kontinenten andauern - dem Weltfrieden keine aktuelle Gefahr droht, zumindest nicht von der See. Aber auch auf dem Festland scheint der Friede nun besser gesichert denn je. Die Seestaaten sind voll beschäftigt mit dem Ausbau neuer Küsten und können ihr Gebiet ins Weltmeer erweitern, statt sich um eine Verschiebung ihrer Grenzen auf dem Festland zu bemühen. Es wird nicht mehr nötig sein, mit Eisen und Gas um jeden Fußbreit Boden zu kämpfen, es genügen die bloßen Hacken und Schaufeln der Molche, und jeder Staat kann sich so viel Territorium erbauen, als er braucht. Und gerade diese ruhige Molcharbeit für den Frieden und Wohlstand aller Völker verbürgt die Londoner Konvention. Nie war die Welt einem dauernden Frieden und einer zwar geruhsamen, aber ruhmreichen Blütezeit näher als eben jetzt. Statt des Molchproblems, über das schon so viel gesprochen und geschrieben wurde, wird man nun vielleicht mit Recht vom Goldenen Molchzeitalter sprechen.«

Die Passagen stammen aus dem 2. Kapitel, S. 226 - 234. Das Buch gibt es im Aufbau-Verlag.

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