die assembler-frage
Niels Boeing, Hamburg, September 2004

Am Konzept eines molekularen Assemblers, der jeden beliebigen Gegenstand aus seinen atomaren Bestandteilen zusammenbauen kann, scheiden sich in der Nanoforschung die Geister. Wissenschaftlich unhaltbarer Unsinn? Oder die nächste industrielle Revolution? In der hitzigen Debatte wird das ursprüngliche Konzept von Eric Drexler, 1992 im Buch "Nanosystems" detailliert dargelegt, gar nicht erst analysiert. Diese überfällige Arbeit wollen wir hier gerne nachholen.
Was Eric Drexler zur Assembler-Frage zu sagen hat

Der kleine Holzbungalow am Foothill Expressway in Los Altos, am Rande des Silicon Valley, hat schon fast etwas Konspiratives. Dieser unscheinbare Bau ist also tatsächlich das Zentrum jener Nano-Revolutionäre, die seit über die 20 Jahren die „eigentliche“, die so genannte Molekulare Nanotechnologie, wie sie es nennen, ausarbeiten. Immerhin: Die überdimensionierten Maße des Schildes mit dem Schriftzug „Foresight Institute“ halten Schritt mit der Größe der Vision. „Die Nanotechnik wird größere Auswirkungen auf die Menschheit haben als die Industrielle Revolution“, erklärt Ralph Merkle ohne jeden Anflug von Zweifeln im kleinen Konferenzraum im Innern des Hauses. Und wenn Merkle, dessen Statur nur mit „big“ adäquat beschrieben ist, von Nanotechnik spricht, meint er nicht selbstreinigende Oberflächen, Molekül-Transistoren oder Krebstherapien mit Nanopartikeln. Nanotechnik ist im Foresight Institute „Molecular Manufacturing“, industrielle Fertigung auf molekularer Ebene – und nur das.

Ralph Merkle ist die rechte Hand des umstrittenen Eric Drexler, der diese Vision 1986 erstmals in seinem Buch Engines of Creation formuliert hat. So überzeugend, dass Merkle, ein hochintelligenter Informatiker, seinen Job als Entwickler von Verschlüsselungsprogrammen an den Nagel hing und sich Drexlers Foresight Institute anschloss. Herzstück der Vision einer Molekularen Nanotechnologie sind „Maschinen, die einzelne Atome greifen und positionieren können“, wie damals schrieb Drexler. Diese Maschinen, die er „Assembler“ nannte, „werden so gut wie alles bauen können, indem sie die richtigen Atome im richtigen Muster binden“. Für Merkle sind die Vorzüge der Assemblertechnologie offensichtlich: Die Industrie könne so bessere Produkte zu einem Bruchteil der heutigen Kosten produzieren.

Wer erwartet, dass man nun von Merkle in ein Labor geführt wird, um einen ersten Blick auf rudimentäre Nanomaschinenteile zu erhaschen, wird enttäuscht. Denn im Foresight Institute wird nicht experimentiert. Hier wird gerechnet und simuliert. Der erste Assembler existiert bislang nur im Computer. Immerhin schon seit 1992, als Eric Drexler sein voluminöses Werk Nanosystems vorlegte. Auf mehr als 500 Seiten präsentierte er thermodynamische Abschätzungen und Modellrechnungen, die die prinzipielle Machbarkeit der Assembler darlegen sollten. Das Buch ereilte das typische Schicksal von Manifesten: von vielen verlacht, von wenigen gründlich gelesen. Dabei ist es in seiner Akribie und in seiner vorbildlichen Strukturierung durchaus beeindruckend.

Wie sieht nun die Drexler’sche Assemblertechnologie konkret aus? Die Baumaterialien – Elemente wie Kohlenstoff oder Stickstoff sowie organische Moleküle – werden in einer Lösung am Assembler angeliefert. Winzige Schaufelräder in dessen Außenwand transportieren die Moleküle ins Innere und werden dort von Förderbändern aufgegriffen und an „Mühlen“ weitergereicht. In denen werden sie womöglich für die endgültige Reaktion chemisch verändert, indem etwa ein Wasserstoffatom entfernt wird und ein äußerst reaktionsfreudiges Radikal übrig bleibt. All dies findet natürlich im Vakuum statt, denn das Innere eines Assemblers ist nicht mit Gas oder einer Lösung gefüllt. Die fertig präparierten Bausteine werden schließlich an beweglichen Roboterarmen abgeladen.

Die sind etwa 100 Nanometer lang und bestehen aus vier Millionen Atomen. Die Spitze eines Arms bugsiert dann ein Molekül an die eigentliche „Baustelle“, wo es sich mit anderen Atomen oder Molekülen zu einer festen Struktur verbindet: Entweder zu neuen Stützbalken, Kugellagern oder Förderbändern, allesamt nanoskopische Gegenstücke zu den Teilen einer heutigen Industriemaschine; oder das Molekül wird in die Wand eines makroskopischen Gegenstandes eingefügt, der so Atom für Atom Gestalt annimmt. Und zwar nach einem Muster, dass ein Designer in einem CAD-Programm am Computer entworfen hat. Der Assembler produziert also riesige Moleküle, die in der Natur nicht vorkommen. Drexler nennt sie „diamantartig“, weil die Bindungen zwischen den Atomen so berechnet sind, dass sie ähnlich stabil wie in Diamanten werden.

All dies bewältigt der Assembler übrigens ohne Bordelektronik. Sein Computer arbeitet rein mechanisch, und auch die Steuerbefehle an all die Förderbänder, Mühlen und Arme werden mechanisch über eine Art Nanohydraulik weitergeleitet.

Die Kritik an dieser Vision seitens der Nano-Community fiel vernichtend aus. „Unphysikalisch“ und „nicht realisierbar“ lautete das fast einhellige Urteil außerhalb des Foresight-Lagers. „Zuerst erklärten mir die Leute streng, dass molekulare Maschinen schon wegen des allgegenwärtigen thermischen Rauschens nicht funktionieren könnten. Dieses Argument ist heute passé“, erzählt Merkle, der das Konzept seitdem in zahlreichen Papern weiter ausgearbeitet hat. „Dann wurde die quantenmechanische Unschärferelation gegen eine präzise Positionierung von Atomen angeführt. Auch das hat sich erledigt, denn man kann sehr wohl einzelne Atome gezielt bewegen.“ Tatsächlich arbeitet die Natur seit Jahrmillionen sehr erfolgreich mit molekularen Maschinen in den Zellen von Lebewesen. Bruno Michel, bei IBM Experte für die Verbindung aus biologischen und physikalischen Nanosystemen, ist dennoch nicht überzeugt: „Die Natur hat das viel besser gemacht.“

Einer der entschiedensten Kritiker, der Chemie-Nobelpreisträger Richard Smalley, hat zwei weitere Einwände erhoben. Um all die Atome an der Baustelle so exakt zu kontrollieren wie von Drexler und Merkle vorgesehen, müsste jedes mit einem eigenen Arm in Schach gehalten werden. Die Arme des Assemblers müssten aber ihrerseits immer noch aus Atomen bestehen. Damit wären sie genauso dick wie die Bausteine, die sie eigentlich bewegen sollen. Smalley nennt dies das „Fat Fingers Problem“. Drexler hat darauf im vergangenen Jahr mit einem offenen Brief reagiert, in dem er Smalley vorwirft, seine Ideen falsch wiederzugeben, um sie dann lächerlich machen zu können. Die von ihm skizzierten Arme sind zwar etwa 30 Nanometer dick , laufen aber – ähnlich wie beim Rastertunnelmikroskop, dem verbreitetsten Nanowerkzeug derzeit – in einer hauchdünnen Spitze zu.

Auch Smalleys zweiten Einwand, das „Sticky Fingers Problem“, lässt Drexler nicht gelten. Smalley argumentiert, die Atome könnten an der Spitze des Assemblerarms hängen bleiben, weil die Van-der-Waals-Kraft, eine schwache Anziehung zwischen Atomen oder Molekülen, sie bindet. Dann hätte der Roboterarm dasselbe Problem, wie jemand, der vergeblich versucht, einen Kaugummi von der Schuhsohle zu bekommen. Drexler kontert, dass dann auch in biologischen Nanomaschinen wie dem Ribosom in der Zelle Atome nicht exakt positioniert werden könnten.

Merkle hält den Kritikern wiederum Phantasielosigkeit vor. Das schlagende Argument ist für ihn die Entwicklung des Computers: „Die entscheidende Technologie des 20. Jahrhunderts war in den 1830ern Jahren bereits vollständig konzipiert.“ Damals baute Charles Babbage einen mechanischen Rechner. Doch das volle Potenzial einer solchen Maschine habe sich erst mit den elektronischen Schaltkreisen umsetzen lassen, so Merkle.

Ein Haken bleibt dennoch: Die Vision von Drexler und Merkle hat ein Henne-Ei-Problem. Damit man all die Nanomaschinenteile bauen kann, muss bereits ein erster Assembler vorhanden sein. Doch wollte man den mit den heutigen Nanowerkzeugen aus Atomen montieren, bräuchte man mehr Zeit, als seit dem Urknall vergangen ist.

Auch das bringt Merkle nicht aus der Fassung: Es fehle schlicht der Wille, die Forschung überhaupt erst einmal in diese Richtung voranzutreiben. Etwa mit einer Rede des Präsidenten vom Schlage der berühmten Kennedy-Rede 1961. Damals hatte Kennedy gefordert, dass noch vor Ablauf der Sechziger Jahre Amerikaner auf dem Mond landen sollten. „Kennedy sorgte für Forschungsgelder und ein klares Ziel“, sagt Merkle. Was würden Sie denn dem US-Präsidenten in sein Redemanuskript schreiben, Herr Merkle? „Erstens, baut einen Assembler. Zweitens, legt den Entwicklungsweg dorthin fest. Drittens, geht diesen Weg!“ Ob der nächste Präsident der USA in den Zeiten des „War on Terror“ eine solche Rede halten wird, darf bezweifelt werden.


Mehr dazu in diesem Interview: Was Eric Drexler zur Assembler-Frage zu sagen hat

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